Verstehen ist Liebe

Stell Dich doch nicht so an! Du hast für alles eine Ausrede! So schlimm kann das nicht sein! Das glaube ich nicht!

Lesedauer: 7 Minuten

Das sind nur einige von vielen Aussagen, die ich von Freunden und Bekannten gehört habe, die mir nicht geglaubt haben, nicht glauben können, wie schlimm so ein Entzug von Psychopharmaka sein kann! Diese Aussagen vermitteln alle die gleiche Botschaft: »Du bist nicht bereit, alles zu tun, was möglich ist, um gesund zu werden!« Diese Aussagen können bei Betroffenen starke Selbstzweifel auslösen, vor allem, wenn man schon einige gescheiterte Entzugsversuche hinter sich hat und das Selbstvertrauen bereits im Keller ist. Wie Du auf solche Aussagen reagieren kannst, erfährst Du in diesem Beitrag.

JEDER Betroffene gibt alles, davon bin ich überzeugt! So wie ich auch davon überzeugt bin, dass es Personen, die diese Aussagen tätigen und die sich für uns wie üble Unterstellungen und Vorwürfe anhören, es meistens es gut mit uns meinen, da aber eine Menge Hilflosigkeit dabei ist.

Von Psychiatern und Ärzten bin ich das gewohnt, von Freunden und Bekannten bisher nicht. Wenn ich etwas nicht selbst erfahre und somit nicht verstehen kann, dann äußere ich mich dazu gar nicht oder sage »Es tut mir leid, ich verstehe das nicht, ich habe das noch nie erfahren, ich fühle mit Dir und ich glaube Dir, ich bin für Dich da!«

Am ehesten verstehen kann man etwas, das man nicht erfahren hat, in dem man sich fragt, »was würde ich mir wünschen, wie man mit mir umgeht, wenn ich diese Person wäre?«

Sicher würde sich jeder wünschen mit Mitgefühl, Verständnis, Wertschätzung für das bisher geleistete bzw. ertragene behandelt werden wollen.

Keiner von uns sollte sich genötigt fühlen, sich rechtfertigen zu müssen für die Qualen, die so ein Entzug über Jahre mit sich bringt. Es ist schon schlimm genug, das uns Ärzte und Psychiater nicht glauben, da wäre es heilsam, wenn unsere Familie und Freunde uns glauben schenken.

Ich habe es auch satt einen Eiertanz zu absolvieren, um Ärzte und Psychiater nicht das Gefühl zu geben, ich wüsste mehr als sie. In der Regel weiß ich mehr, als sie und das ist auch kein Wunder wenn das Reduzieren und Absetzen von Antidepressiva weder im Medizinstudium noch in der Ausbildung zum Psychiater gelehrt wird. Ich habe 10 Jahre gebraucht, um mir das Wissen anzueignen, das ich heute habe.

Missverständnis und einseitige Wahrnehmung

Diese Aussagen von anderen haben viel mit einer einseitigen oder falschen Wahrnehmung zu tun, wie das folgende Beispiel zeigt:

Neulich sage eine Bekannte, von der ich das so bisher gar nicht gewohnt war »Du hast für alles eine Ausrede! So viel Wissen und so viel Erfahrung und doch ein Häufchen Elend«

Das tat sehr weh und war unnötig! Diese Aussage enthält gleich mehrere falsche oder einseitige Wahrnehmungen:

1. Die Wahrnehmung: Wissen löst Probleme. Das trifft auf viele Fachbereiche zu, aber nicht auf den Entzug von Psychopharmaka. Selbst das größte Wissen bringt nichts, da sich so ein Entzug an keine Gesetzmäßigkeiten oder Garantien hält. Selbst die weltweit bewährte Prozentmethode hilft nicht jedem. Jedes Gehirn ist einzigartig keins gleicht einem anderen und somit ist auch jeder Entzug einzigartig, keiner gleicht einem anderen, was dem einen hilft, kann anderen schaden.

Deshalb sollte man nie von einer Person auf eine andere schließen, selbst dann nicht, wenn beide das gleiche Medikament in der gleichen Dosis, gleich lang einnehmen.

Die häufigste Frage in Absetzforen: »Wie hast Du was abgesetzt und wie lange hat es gedauert?« oder so ähnlich. Diese Frage bietet leider keine Lösung.

2. Die Wahrnehmung: Ärzte hätten das notwendige Wissen. Das haben sie leider nicht. Weder im Medizinstudium noch in der Ausbildung zum Psychiater wird gelehrt wie man Antidepressiva richtig absetzt, gibt ja auch keinen Grund dafür, da die allgemeine Lehrmeinung ist, dass Antidepressiva nicht körperlich abhängig machen und harmlose gut wirksame Medikamente sind. Das sagt der Psychiater in Ausbildung Mark Horowitz in diesem Interview mit der Organisation »Mad in America«:

Peer-Support-Gruppen hatten Recht, Leitlinien waren falsch: Dr. Mark Horowitz über das Absetzen von Antidepressiva

3. Die Wahrnehmung: große Entzugserfahrung würde helfen! Also aus Erfahrung wird man klüger Ja, aus vielen gescheiterten Entzugsversuchen wird man klug, man lernt, wie es nicht geht. Tatsächlich ist es aber sogar so, dass jeder gescheiterte Entzugsversuch den nächsten noch schwerer macht. Das liegt daran, dass nach jedem gescheiterten Entzugsversuch etwas bleibt, ein Symptom, das neu aufgetreten ist geht nicht weg, obwohl man wieder auf die vorherige Dosis zurück ist. Es kann sein, dass sich bestehende Entzugssymptome verstärken oder manifestieren. Wir Betroffenen nennen das »paradoxe Effekte«.

Das Problem ist, dass wenn man nicht von Anfang an alles richtig macht das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Soll heißen viele gescheiterte Absetzversuche, vieles rauf- und runter dosieren machen das Nervensystem immer sensibler bis die kleinste Veränderung ausreicht um eine starke Reaktion auszulösen.

Mein Psychotherapeut ist auch Schmerztherapeut und hat ein wie ich finde übertragbares Erklärungsmodell gezeigt, das auch auf Angst und Entzug/Entzugssymptome zutrifft. Schau es Dir an und ersetze »Schmerz« durch »Angst« bzw. »Entzug/Entzugssymptom«. Die Alarmanlage ist übertragen auf Angst und Entzug das zentrale Nervensystem.


Quelle: Schritt ins Leben | Dauer: 4:06 min.

Das im Video gezeigte Alarmsystem ist vergleichbar mit dem Nervensystem, das lernt auch und reagiert mit jedem Reduzierungsversuch immer sensibler auf kleinste Veränderungen, schlägt immer früher Alarm.

Es gibt bisher nur sehr wenig Wissen über das Reduzieren und Absetzen von Antidepressiva und keine wirkliche Langzeitstudien über mehrere Jahre, die längsten reichen bis ein Jahr. Die Abhängigkeit und Entzugsproblematik tritt häufig aber erst nach längerer Einnahme auf. Dazu ist die Studienlage katastrophal. Dr. Horowitz sagt im Interview auf die Frage, warum es eine so große Lücke in der Forschungsliteratur über das Absetzen von Antidepressiva gibt

»Es gibt mehr als 500 Studien über die Einnahme von Antidepressiva und weniger als 10 über die Entzugserscheinungen beim Absetzen dieser Medikamente«

Was mir schon öfters vorgeworfen wurde ist, dass ich genug Energie für Beiträge schreiben, recherchieren im Internet und beraten und diskutieren in Absetzforen hätte, aber keine, um auf den Hometrainer zu gehen bzw. überhaupt aufzustehen.

Ein wesentlicher Grund dafür sind die Psychopharmaka, die ich einnehme. Sie alle haben eine sedierende, lähmende Wirkung. Neuroleptika und Benzodiazepine entspannen die Muskeln und hemmen den Antrieb. Wer einmal solch ein Medikament genommen hat, weiß wovon ich verspreche. Bei mir ist es nicht nur eins, es sind 4 (!).

Dazu kommt dann noch das durch eine Laboranalyse nachgewiesene stark ausgeprägte Serotonin-Defizit-Syndrom. Serotonin reguliert u.a. den Antrieb, aber auch Appetit und Sättigung. Zunächst erhöhen Antidepressiva den Serotoninspiegel kurzfristig leicht, dann senken sie mit Dauer der Einnahme den Serotoninspiegel stark. Wenn da kein Serotonin ist, ist der Antrieb automatisch nicht vorhanden.

Ich kann, wenn ich es morgens aus dem Bett geschafft habe und in meinem Sessel setze, den ganzen Tag dort sitzen, ein aufstehen ist aufgrund der starken Lähmung nur noch dann möglich wenn ich muss (mein Körper ein Bedürfnis hat). Der Laptop liegt neben mir. Ich muss nicht aufstehen.

Ein anderer Vorwurf lautet, dass mein Konzept (das nichts anderes ist als die ACT angepasst an Psychopharmakaabhängigkeit) ja nichts bringen würde, da ich ja immer noch abhängig sei.

Dabei wird übersehen, dass ich bereits 2 Benzodiazepinentzüge erfolgreich geschafft habe und für 5 Jahre frei von Benzodiazepinen war.

Das Konzept funktioniert, es gibt aber häufig Rückfälle beim Entzug von Psychopharmaka, vor allem dann, wenn der Entzug falsch gemacht wird oder sozial einschneidende Erlebnisse auftreten, wie der schmerzliche Verlust eines geliebten Menschen.

Wie schlimm so ein Entzug sein kann zeigt das Entzugssymptom Akathisie. Akathisie betrifft ca. 5% aller Betroffenen, die ein SSRI oder SNRI reduzieren, bei anderen Antidepressivagruppen kommt es zu keiner Akathisie. In Deutschland versteht man unter Akathisie eine harmlose Bewegungsunruhe. Die »MISSD-Foundation« (Medical-induced Suicide Prevention and Education Foundation) zeigt, dass Akathisie sehr viel mehr sein kann und eine der Hauptursachen von Suiziden und Suizidversuchen unter der Einnahme von SSRI/SNRI ist

Diese Bewegungsunruhe kann so stark werden kann, dass man aus der eigenen Haut fahren möchte und nicht kann oder Betroffene berichten von einem inneren verbrennen und von sich einem zwanghaft aufdrängende Suizidgedanken und -plänen.

Ich habe 3 x Akathisie erlebt und das war die Hölle! Damit bin ich nicht allein. Hier kannst Du Dir konkrete Akathisie-Storys ansehen:

https://www.youtube.com/@MISSDFoundation/videos

Als ob das nicht schon leidvoll genug wäre, kann solch eine Akathisie zu aggressiven, feindseligen und im schlimmsten Fall zu Suizid und Gewalttaten führen.

Auch das habe ich bereits erlebt, bei meiner ersten Akathisie 2017, ich hatte morbide Gedanken, war aggressiv und feindselig allem und jedem gegenüber. Psychiatrie und Pharmaindustrie behaupten seit Jahrzehnten, dass Antidepressiva die Persönlichkeit nicht verändern. Für mich ist das eine krasse Persönlichkeitsveränderung. verbittert und ich glaubte, das sei jetzt ich, ein Arschloch. Ich habe in dieser Zeit alle meine Freunde verloren.

Gewalttaten und Amokläufe durch SSRI/SNRI-Antidepressiva

Bereits 2004 warnte die FDA davor, dass SSRI-Antidepressiva Angst, Erregungszustände, Panikattacken, Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Feindseligkeit, Impulsivität, Akathisie (starke Ruhelosigkeit), Hypomanie (abnormale Aufgeregtheit) und Manie (Psychose, charakterisiert durch übersteigerte Gefühle, Größenwahn) verursachen können.11

Es gibt etwa 6000 dokumentierte Fälle von Gewalttaten und Suiziden von Menschen, die SSRI-Antidepressiva einnahmen und täglich werden es mehr.12

Es konnte nachgewiesen werden, dass diese Antidepressiva Verhaltensänderungen wie Reizbarkeit, Feindseligkeit, Impulsivität und Manie auslösen, die wiederum zu Gewalttaten oder Suizid führen können. Medizinische Studien zeigen, dass sich bei Patienten, die keinerlei gewalttätige Vergangenheit haben, unter dem Einfluss von Psychopharmaka, »eine von Gewalt geprägte Angriffslust« entwickelt.13

Leseempfehlungen:

German Wings Pilot nahm SSRI-Antidepressivum Escitalopram

Der Psychiater Dr. David Healy zum »Medikamentenaspekt« des Amokflugs 4U95254 (Germanwings) und bei Amokläufern.

Original-Beitrag auf dem Blog von David Healy

Dr. Peter Breggin, Violence Caused by Antidepressants: An Update after Munich

(Lies den Beitrag in deutsch)

Diese »Nebenwirkungen« werden von der Pharmaindustrie bisher erfolgreich verschwiegen.

Studien und Fakten zu diesem Thema sind so erdrückend, dass sie nicht länger ignoriert werden dürfen. Es geht um Menschenleben, um die Sicherheit und Freiheit unserer Gesellschaft. Es geht aber auch darum, Menschen mit psychischen Krankheiten nicht pauschal zu potenziellen Gewalttätern und rücksichtslosen Selbstmördern zu machen, wenn die Krankheit gar nicht dafür verantwortlich ist, sondern die Medikamente, die sie einnehmen.

Dr. Breggin schreibt in seinem Beitrag:

Den Gebrauch von SSRIs und anderen Antidepressiva einzuschränken, würde einen enormen Rückgang an Aggression und Gewalttätigkeiten bei denjenigen bewirken, die diese Medikamente einnehmen […] Die weiterhin bestehende Verfügbarkeit von Antidepressiva und ihre wachsende Zahl spiegeln eine gierige Pharmaindustrie wider, eine verschwörerische Ärzteschaft und einen psychiatrischen Berufsstand sowie eine korrupte FDA.

Ich habe 2017 während der ersten Akathisie verursacht durch das zu schnelle reduzieren des SSRI durch einen ambulanten Psychiater, alle Freunde verloren. Ich war aggressiv, hatte morbide und suizidale Gedanken, ich war verbittert und hasserfüllt! Ich war nicht ich selbst, ich dachte aber, das wäre ich jetzt und das ist eine der schlimmsten Faktoren dabei, Du glaubst Du bist so und keiner sagt Dir, »nee, das sind die Medikamente« Ich habe dann wieder auf die vorherige Dosis aufdosiert und diese starke Persönlichkeitsveränderung und als nichts anderes kann man das bezeichnen, verschwand 2 Tage nach dem hochdosieren. So viel dazu, dass Antidepressiva die Persönlichkeit nicht verändern.

Ich war wieder ich selbst! Leider glaubte mir das niemand, als ich es zu erklären versuchte und mein soziales Leben war vorbei, ich bin seit 2017 einsam.

Wenn man Euch solche Vorwürfe oder Unterstellungen macht, dann sagt so etwas wie »Ich danke Dir, ich weiß, das Du mir helfen möchtest, aber hilflos bist, weil Du es nicht verstehen kannst und das ist vollkommen in Ordnung für mich« erklärt der Person, das dies ihre einseitige Wahrnehmung ist und das diese falsch ist.

Solltet Ihr auch weiterhin bei dieser Person auf Unverständnis stoßen, man Euch vorwerfen oder unterstellen, nicht alles zu tun, was möglich ist, also Euer Verhaften kritisieren, dann lasst los, jede Diskussion ist überflüssig und fragt die Person, wie sie gerne behandelt werden würde, wenn sie an Eurer Stelle wäre?

Warum Liebe (Mitgefühl) und Verstehen ein und dasselbe sind

Der buddhistische Lehrmeister Thich Nhat Hanh sasgt:

Liebe (Mitgefühl) und Verstehen sind ein und Dasselbe. Ohne Liebe (Mitgefühl) kein Verstehen und ohne Verstehen keine Liebe (Mitgefühl).

Bei Menschen bedeutet Verstehen: zu erkennen, wie ein Mensch zu dem wurde, der er heute ist, warum er das tut, was er tut, gleich ob er Politiker, Waffenproduzent, Waffenhändler, Terrorist, Pirat oder Flüchtling ist, wie es Thich Nhat Hanh in diesem wundervollen Gedicht ausdrückt:

Warum Liebe (Mitgefühl) und Verstehen ein und Dasselbe sind?

Die 4 Mantras der Liebe

In diesem Interview spricht Thich Nhat Hanh mit Oprah Winfrey über die 4 Mantras der Liebe:

Aloha

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Veröffentlicht von

Mein Name ist Markus Hüfner. Ich bin Blogger, Webdesigner und Künstler. In diesem Blog schreibe ich über meine Erfahrungen mit der Heilkraft der buddhistischen Psychologie und dem richtigen Reduzieren und Absetzen von Psychopharmaka auf Stand der aktuellen Wissenschaft.