Selbstmitgefühl

» Großes Mitgefühl ist wie ein wunscherfüllender Edelstein. Es erfüllt die eigenen Hoffnungen und die der anderen. «SHAKBAR

Buddha-Figur-haelt-Steinschale-in-Haenden

© Mike Richter | shutterstock.com

Der letzte Wert ist das Selbstmitgefühl. Du wirst erfahren was Selbstmitgefühl ist, was der Unterschied zwischen Selbstmitgefühl und Selbstmitleid ist und welche Wege es zum Selbstmitgefühl gibt?

Dazu werde ich Dir einen Test vorstellen, mit dem Du ermitteln kannst, wie mitfühlend Du mit Dir selbst bist. Ich zeige Dir eine praktische Übung, »eine mitfühlende Hand«, um Selbstmitgefühl direkt zu erfahren. Außerdem stelle ich Dir die »Mettâ-Meditation« als einen heilsamen Weg vor, nachsichtiger, freundlicher und mitfühlender mit sich und den eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten umzugehen. Zum Schluss werfen wir einen Blick aus Sicht der Wissenschaft auf das Selbstmitgefühl.

Was ist Selbstmitgefühl?

Um zu erklären, was Selbstmitgefühl ist, ist es einfacher zunächst zu klären, was Mitgefühl ist. Das englische Wort für Mitgefühl – compassion – stammt vom Lateinischen ab: com (mit) und pati (leiden) oder »mitleiden«.1

Echtes Mitgefühl empfinden wir dann, wenn wir am Leid eines anderen Menschen teilnehmen, also dessen Schmerz sehen und anerkennen und unsere Angst und unseren Widerstand gegen sein Leiden loslassen können. Dann können wir ein natürliches Gefühl von Liebe und Zuneigung auf den Leidenden übertragen.

Mitgefühl setzt Leid voraus, d. h. dass wir selbst irgendwann in unserem Leben ein Mal Leid erfahren haben und wissen, wie es uns damit ergangen ist.

Selbstmitgefühl bedeutet, dass wir uns dasselbe Mitgefühl entgegenbringen, mit dem wir uns um eine andere leidende Person kümmern würden, dass wir unseren Schmerz sehen und anerkennen können.2

Du kannst Dich dieser Frage auch noch auf eine andere Art und Weise nähern, in dem Du Dir drei weitere Fragen stellst, so wie es der Arzt und Psychologe Russ Harris in seinem spannenden Buch »Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt« vorschlägt:

Ein guter Freund:

Denken Sie einmal über diese drei Fragen nach:

  • Wer ist der einzige Mensch in Ihrem Leben, der immer, in jedem Augenblick, für Sie da sein kann, egal was geschehen mag?
  • Wer ist der einzige Mensch, der besser als irgendjemand sonst auf der Welt Ihren Schmerz begreifen, würdigen und nachfühlen kann?
  • Wer ist der einzige Mensch, der wirklich wissen kann, wie sehr Sie leiden?

Das sind Sie selbst.

Das heißt, Sie sind in einer einzigartigen Position. Egal, wie hart es für Sie im Leben wird, Sie sind immer da. Selbst wenn sonst niemand verfügbar ist, Sie sind es. Und Sie können immer etwas tun, um sich zu helfen, selbst wenn Ihr Kopf das Gegenteil behaupten sollte.

Eine gute Beziehung zu uns selbst aufzubauen ist eine wesentliche Voraussetzung für innere Erfüllung, vor allem, wenn wir auf eine große Realitätskluft stoßen.

Quelle: »Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt« von Russ Harris

Selbstmitgefühl vs. Selbstmitleid

Selbstmitgefühl wird oft mit Selbstmitleid gleich gesetzt. »In Selbstmitleid zu zerfließen« ist ein gängiger Ausdruck dafür und in den frühen Stadien des Selbstmitgefühls ist das auch vollkommen in Ordnung. Im Gegensatz zum Selbstmitgefühl trennt uns das Selbstmitleid von Anderen leidenden Lebewesen. Wir glauben, wir seien die Einzigen, die so leiden und fühlen uns isoliert.

Beim Selbstmitgefühl fühlen wir uns dagegen mit anderen leidenden Lebewesen verbunden, wir können deren Schmerz erkennen und anerkennen und uns so dieselbe Anerkennung für unser Leid zugestehen.3

Selbstmitgefühl Schritt für Schritt

Im Gegensatz zur Erforschung der Achtsamkeit befindet sich die Forschung über das Selbstmitgefühl noch am Anfang. Allerdings erlangt es zunehmend mehr an Bedeutung in der Psychologie und fließt immer stärker in neuere Therapiekonzepte ein.

Eine Vorreiterrolle nimmt dabei die amerikanische Wissenschaftlerin und Psychologin Dr. Kristin Neff ein. Sie ist Associate Professor für menschliche Entwicklung und Kultur an der Universität von Austin Texas. Ihre Forschungen über Selbstmitgefühl sind von großer Bedeutung für die neuere Psychologie. Zusammen mit Christopher Germer hat sie das 8-wöchige »Mindful Self-Compassion Training (MSC) « (deutsch: »achtsames Selbstmitgefühl-Training«) für den Alltag entwickelt.

Buchcover »Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« von Kristin Neff

Quelle: Arbor Verlag

Das Buch (inklusive 4 CDs) »Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« enthält die Übungen und Meditationen des Trainings, praktisch angeleitet durch die erfahrenen Meditationstrainer Christine Brähler und Lienhard Valentin. Die Übungen lassen sich gut in den Alltag integrieren und sind leicht nachvollziehbar. Die Texte erklären die Übungen und bieten eine kompakte Zusammenfassung von Neff’s Grundlagenwerk »Selbstmitgefühl – Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden« über ihre wissenschaftlichen Arbeiten zum Selbstmitgefühl.

Dr. Neff hat außerdem eine Selbstmitgefühls-Skala und einen Fragebogen entwickelt, mit dem Du ermitteln kannst, wie mitfühlend Du mit Dir selbst bist. Als ich diesen Test zum ersten Mal ausgefüllt habe, war das Ergebnis niederschmetternd. Nach einigen Wochen Selbstmitgefühlspraxis konnte ich aber deutliche Fortschritte erzielen. Wenn Du den Test gerne machen möchtest, findest Du diesen auf folgender Website in deutscher Sprache:

https://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/TEST/SAT/Test.shtml

Bitte identifiziere Dich nicht all zu sehr mit diesem Test, besonders das erste Ergebnis kann schockierend und niederschmetternd sein. Mache Dir bewusst, das bin nicht ich! Der Test ist nur eine Orientierungshilfe und dient Dir als Motivation, mit der Praxis fortzufahren. Ich schlage vor, dass Du den Test frühestens wieder in 8 Wochen wiederholst, um zu sehen, ob Du Fortschritte gemacht hast.

Selbstmitgefühl in der Praxis

Damit Du einen Eindruck davon bekommst, was es bedeutet mitfühlend mit sich selbst zu sein, hier eine kleine Übung aus dem Buch von Russ Harris. Eine Realitätskluft ist eine Diskrepanz zwischen dem, was Du gerne hättest, was Du Dir wünschst oder wie Du Dich gerne fühlen würdest und dem, wie es tatsächlich ist. Fang mit etwas Kleinem an, z.B. etwas worüber Du Dich heute geärgert hast, wo Du die Beherrschung verloren hast.

Eine fürsorgliche Hand

Finden Sie eine bequeme Haltung, in der Sie zentriert und wach sind. Wenn Sie auf einem Stuhl oder Sessel sitzen, können Sie sich leicht vorbeugen, den Rücken strecken, die Schultern entspannen und die Füße sanft in den Boden drücken.

Denken Sie nun an eine Realitätskluft, mit der Sie gerade kämpfen. Nehmen Sie sich einige Augenblicke Zeit, um über die Natur dieser Kluft nachzudenken. Erinnern Sie sich, was geschehen ist, und überlegen Sie, wie es Sie momentan beeinflusst und wie es sich auf Ihre Zukunft auswirken könnte. Achten Sie dabei darauf, welche schwierigen Gedanken und Gefühle auftauchen.

Wählen Sie nun eine Ihrer Hände aus und stellen Sie sich vor, es sei die Hand einer sehr freundlichen und liebevollen Person.

Legen Sie diese Hand sanft und langsam auf den Teil Ihres Körpers, der am meisten wehtut. Spüren Sie den Schmerz mehr in der Brust oder eher im Kopf, im Hals, im Bauch? Dort, wo er am intensivsten ist, legen Sie die Hand auf. Wenn Sie sich taub fühlen, dann legen Sie die Hand auf den Körperteil, der am taubsten ist, und wenn Sie weder Schmerz noch Taubheit empfinden, legen Sie die Hand einfach auf die Mitte Ihrer Brust. Lassen Sie die Hand leicht sanft auf Ihrem Körper liegen und spüren Sie sie auf der Haut oder auf Ihrer Kleidung. Spüren Sie auch die Wärme, die von der Handfläche in den Körper strömt.

Stellen Sie sich nun vor, wie Ihr Körper rund um diesen Schmerz weicher wird, wie er sich lockert, sich entspannt und Raum schafft. Falls Sie sich taub fühlen, so lockert und löst sich alles rund um die taube Stelle. Und wenn Sie weder Schmerz noch Taubheit empfinden, dann stellen Sie sich vor, dass sich auf magische Weise Ihr Herz öffnet.

Halten Sie Ihren Schmerz oder Ihre Taubheit ganz sanft in der Hand, wie ein weinendes Baby, ein wimmerndes Hündchen oder ein wertvolles Kunstwerk.

Erfüllen Sie diese sanfte Handlung mit Fürsorglichkeit und Wärme, so als würden Sie sich um eine Person kümmern, die Ihnen wichtig ist.

Lassen Sie Freundlichkeit von Ihren Fingern in Ihren Körper strömen.

Nutzen Sie nun beide Hände für eine freundliche Geste. Legen Sie eine Hand auf die Brust, die andere auf den Bauch. Lassen Sie beide Hände sanft dort ruhen und berühren Sie sich voll Freundlichkeit. Sitzen Sie eine Weile so da, mit sich selbst verbunden, liebevoll, tröstend und unterstützend.

Setzen Sie dies fort, solange Sie wollen – fünf Sekunden oder fünf Minuten, das ist egal.

Worauf es ankommt, ist der freundliche, liebevolle Ausdruck, während Sie diese Geste machen, nicht deren Dauer.

Quelle: »Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt« von Russ Harris
Bildquelle: © Christian Mueller | »buddha head with stone heart, filled with water, rose petals and floating candles« | shutterstock.com

Fünf Wege zum Selbstmitgefühl

Der Psychologe Christopher Germer beschreibt in seinem Buch »Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl« fünf Wege zum Selbstmitgefühl.4 Diese finden wir auf der

  • körperlichen Ebene:
    Hier geht es darum, liebevoll und fürsorglich mit dem Körper umzugehen, alles was Sie ihrem Körper Gutes tun können.
  • mentalen Ebene:
    Selbstmitgefühl auf der mentalen Ebene bedeutet, inwieweit Sie Ihre Gedanken zulassen können, kommen und gehen lassen können, ohne sich darin zu verstricken.
  • emotionalen Ebene:
    Bedeutet Freundschaft mit schmerzhaften Gefühlen schließen und nicht länger dagegen anzukämpfen.
  • spirituellen Ebene:
    Hier geht es darum, die eigenen Werte im Blick zu haben und danach zu handeln.
  • Beziehungsebene:
    Beinhaltet die Verbundenheit mit anderen Menschen und wie wir mit Anderen in Beziehung treten.

Die Praxis der Liebenden Güte (Mettâ-Meditation)

Die »Praxis der Liebenden Güte« auch »Mettâ-Meditation« genannt, ist ein weiterer Weg, um zu mehr (Selbst)-Mitgefühl und Akzeptanz zu gelangen. Christopher Germer drückt das so aus:

Liebende Güte ist Ausdruck des Wunsches, ein anderer Mensch möge glücklich sein. Mitgefühl ist der Wunsch, diese Person möge frei von Leiden sein. Liebende Güte können wir immer und überall erfahren, aber Mitgefühl setzt Leiden voraus. Daher ist Mitgefühl ein Teilaspekt der Liebenden Güte.

Die »Praxis der Liebenden Güte« umfasst alle fünf Ebenen des Selbstmitgefühls in einer Meditation. Sie ist Bestandteil des »Mindful Self-Compassion Training (MSC) «. Das vorgestellte Booklet »Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« enthält verschiedene Arten dieser Meditation. In dieser Praxis sprechen wir bestimmte »Mettâ-Sätze« innerlich zu uns selbst, um uns daran zu erinnern, dass wir ein Mensch sind, der Fehler macht und der frei von Leid sein möchte. In dem wir nach und nach den Kreis unserer »Liebenden Güte« erweitern und schließlich alle Lebewesen einbeziehen, erkennen wir, dass alle Lebewesen frei von Leid sein wollen.

Wir erkennen, dass unser Herz groß genug ist, um das Leid aller Lebewesen in unser Herz aufzunehmen, aufzulösen und allen Lebewesen Mitgefühl und »liebende Güte« zu schenken.

» Urteile nicht hart über dich selbst. Ohne Erbarmen Mit uns selbst sind wir außerstande, die Welt zu lieben. «Buddha

Mettâ im Buddhismus

Die »Mettâ-Meditation« hat ihren Ursprung im Buddhismus. »Liebende Güte« ist eine Übersetzung des Pâli-Wortes Mettâ. (Pâli ist die Sprache, in der die Worte des Buddha 400 Jahre nach seinem Tod niedergeschrieben wurden.) Mettâ bedeutet auch »Freundlichkeit«, »Liebe«, »Wohlwollen« und »guter Wille« oder »gute Absicht«. In ihrer höchsten Form ist Mettâ »universelle, selbstlose, allumfassende« Liebe.5

Die heutige Form der Mettâ-Praxis basiert hauptsächlich auf Buddhaghosas ausführlicher Erläuterung einer Lehrrede, die der Buddha vor einer Gruppe von Mönchen hielt, die sich fürchteten, im Wald zu leben. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Buddha ein Mensch und kein Gott war. Als er einmal gefragt wurde, ob er (ein) Gott sei, antwortete er einfach, er sei erwacht.

Buddha bedeutet »der Erwachte«.

Der Buddha wurde um das Jahr 563 v. Chr. als Sohn eines Fürsten geboren, aber er verließ sein luxuriöses Zuhause im Alter von 29 Jahren, um herauszufinden, wie man das Leiden überwinden könne – insbesondere das mit Krankheit, Alter und Tod verbundene Leid. Sechs Jahre später »erwachte« er beim Meditieren unter einem Bodhi-Baum: Er sah plötzlich, wie wir das Leiden in unserem Geist erzeugen und wie es aufgelöst werden kann. Von da an lehrte er noch 45 Jahre lang bis zu seinem Tode.6

Anleitung Meditation der liebenden Güte – Mettâ-Meditation

Hinweis: Bitte lies zunächst die Anleitung vollständig zu Ende, bevor Du mit der Praxis beginnst.

Zunächst ist es wichtig, dass Du Dich in eine mitfühlende und liebevolle innere Haltung begibst. Damit Dir das besser gelingt, such Dir bitte ein Lebewesen aus, bei dem Dir sofort das Herz aufgeht. Es kann ein guter Freund sein, Jesus, Buddha, ein Mentor oder ein geliebtes Haustier. Auch eine Pflanze ist ein Lebewesen, Du kannst Dir auch vorstellen, wie sich z.B. die Blüte einer Lotusblume langsam öffnet oder jede andere Blüte. Dies ist Dein persönlicher Herzensöffner. Manche fühlen sich auch spirituell mit dem Universum verbunden, dann sprich die Sätze zum Universum.

Wichtig: Es sollte kein Lebewesen sein, das konfliktbehaftet ist.

Beispiel: Wenn Du Mettâ praktizierst, um mitfühlender mit einer nahestehenden liebenden Person umzugehen, mit der es Konflikte gibt, dann wähle nicht diese Person als Deinen Herzensöffner. Das gilt auch für Lebewesen bzw. Personen, die verstorben sind und um die Du noch trauerst.

Mein Herzensöffner ist unser schon lange verstorbener Hund. Ich stelle mir vor, wie er mich ansieht, sich an mich kuschelt oder wie er friedlich schlummernd in seinem Körbchen liegt.

Zu Beginn der Meditation empfehle ich eine kurze Zentrierung. Du kannst aber auch gerne Deine eigene Einführung benutzen, wie bei anderen Meditationen. Wichtig ist, dass Du aufrecht sitzt und dabei wach und entspannt bist.

Um Körper und Geist zu zentrieren, benutze ich gerne die kurze Atemmeditation von Thich Nhat Hanh:

Suche Dir eine Stelle, an der Du den Atem beobachten kannst, also z.B. der Brustkorb, der sich hebt und senkt oder die Nase, durch die die Luft ein- und wieder ausströmt. Schließ Deine Augen (Du kannst sie aber auch gerne offen lassen und einen Punkt vor Dir fixieren). Dann atmest Du 3 Mal tief ein und wieder aus und sagst innerlich folgende Sätze zu Dir:

  • 1. Einatmen: Ich atme ein und weiß, dass ich einatme oder kurz Einatmen.
  • 1. Ausatmen: Ich atme aus und weiß, dass ich ausatme oder kurz Ausatmen.
  • 2. Einatmen: Ich beruhige meinen Körper und Geist oder kurz Beruhigen.
  • 2. Ausatmen: Ich lasse los und lächle (Versuche dabei bitte wirklich zu lächeln. Es hat einen sehr positiven Effekt. Es entspannen sich Hunderte von Muskeln in unserem Körper, wenn wir unser Gesicht zum Lächeln bringen. Thich Nhat Hanh nennt das »Mund-Yoga«. Neuere Untersuchungen haben tatsächlich gezeigt, dass sich die Wirkungen in unserem Nervensystem, die mit echter Freude verbunden sind, auch dann einstellen, wenn wir unsere Gesichtsmuskeln den Ausdruck der Freude annehmen lassen) oder kurz Loslassen und Lächeln.
  • 3. Einatmen: Dieser Moment.
  • 3. Ausatmen: Mitfühlender Moment.

Leg nun beide Hände, wie auf dem Bild mit der goldenen Buddhastatue, sanft übereinander auf Dein Herzzentrum und stelle Dir Deinen Herzensöffner so detailliert, wie möglich vor. Stell Dir vor, wie sich mit jedem Atemzug Dein Herz öffnet und der Raum darin größer wird.

Sprich nun innerlich die folgenden Sätze so liebevoll und mitfühlend wie möglich zu Dir selbst.

  • Möge ich sicher und geborgen sein.
  • Möge ich in Frieden sein.
  • Möge ich gesund sein.
  • Möge ich achtsam und mitfühlend sein.
  • Möge ich mit Leichtigkeit und Gelassenheit leben.

Du kannst auch eigene Sätze formulieren, sie sollten nur nicht zu konkret sein und keine Negation enthalten. Was bedeutet das?

Beispiel: Statt möge ich KEINE ANGST mehr haben, sage lieber möge ich mutig sein. Der Grund ist, dass unser Gehirn auf vermeintlich negativ behaftete Wörter sofort reagiert, besonders dann, wenn sie im Gehirn bereits aufgrund Deiner Erfahrungen gut vernetzt sind. Das Gehirn kann auf gut und breit vernetzte Wörter viel schneller zugreifen, als auf wenig vernetzte Wörter. Wenn Du also sagst, Du möchtest KEINE ANGST mehr haben und das Wort ANGST aufgrund Deiner Erfahrungen und Erlebnisse bereits gut vernetzt ist, dann kann es sein, das Du erst Recht Angst bekommst.

Unser Gehirn kennt auch keine Negationen. Negationen sind Sätze die Verneinungen enthalten. Folgende Wörter sind typische Negationen:

KEINE, NICHT, OHNE

Dann gibt es noch versteckte Negationen, das sind Wörter wie sorgenfrei, schuldenfrei, angstfrei usw.. Hier sind nicht nur negative Wörter wie Sorgen, Schulden oder Angst enthalten, das Wort frei ist in diesen Fällen gleichbedeutend mit keine bzw. ohne.

Hier einige Beispiele, die ich gerne je nach Situation hinzufüge:

  • Möge ich frei sein. (Gibt mir ein Gefühl von Freiheit)
  • Möge ich mutig und beharrlich sein.
  • Möge ich mich und mein Leben so annehmen, wie es ist.
  • Möge ich selbstbewusst und stark sein.

Wichtig: Diese Sätze sind keine Befehle, sie bedeuten nicht, dass es so sein wird. Es bedeutet, dass, wann immer es möglich ist, soll es so sein, daher möge.

Wenn Du das eine Weile geübt hast, beginnst Du langsam den Kreis Deiner liebenden Güte auf andere Personen zu erweitern.

  • Jemand, der mitfühlend Dir gegenüber ist.
  • Jemand, der genauso leidet, wie Du.
  • Eine neutrale Person (Postbote, Kassiererin an der Supermarktkasse)
  • Eine schwierige Person: Hier solltest Du langsam vorgehen. Wähle zunächst jemanden, der Dich geärgert hat und zu dem Du keine emotionale Bindung hast oder nur eine schwache, z.B. ein Arbeitskollege, jemand der im Alltag unfreundlich zu Dir war. Dann arbeitest Du Dich langsam zur nächstschwierigeren Person vor, bis hin zu einer Person, die Dir großes Leid angetan hat. Das muss aber nicht sein. Nur wenn Du den Wunsch hast, mitfühlender mit dieser Person zu sein oder Dir wünschst, sie möge Dir vergeben, was sie Dir angetan hat, das aber nicht tut, kannst Du das probieren.
  • Zum Schluss schließt Du alle Lebewesen auf unserem Planeten mit in den Kreis Deiner liebenden Güte ein (ich stelle mir dabei die Erde aus dem Weltall betrachtet vor), denn ALLE Lebewesen wollen frei von Leid sein.

Stell Dir die betreffende Person dabei vor und sage dann die Mettâ-Sätze:

Mögen Du und ich sicher und geborgen sein

Bei der Person, die Dir Gutes tut, der Person, die leidet und der schwierigen Person kannst Du auch gerne den Namen nennen.

Beispiel: Mögen Du liebe(r) […] und ich sicher und geborgen sein.

Bei allen Lebewesen dementsprechend:

Mögen wir alle sicher und geborgen sein.

Lass Dir Zeit, auch wenn Du vielleicht gleich mit einer schwierigen Person starten möchtest. Erweitere Deinen Kreis der liebenden Güte behutsam. Erst wenn Du das Gefühl hast, Du kannst mit einer schwierigen Person wirklich Mitgefühl haben, solltest Du zur nächstschwierigeren Person weiter gehen.

Achtung: Die Meditation der liebenden Güte ist eine Meditation, die uns sehr tief berühren kann. Nicht jeder ist dazu in der Lage sich dasselbe Mitgefühl zu geben, wie jemand anderem, nicht jeder ist dazu in der Lage für eine schwierige Person Mitgefühl zu empfinden. Das gilt besonders für Menschen, die ein Trauma erlebt haben. Hier sollte diese Praxis nur durch Anleitung eines erfahrenen Psychologen oder Meditationslehrer erfolgen, da es bei traumatisierten Menschen während der Meditation zu einem sogenannten Backflash kommen kann, d.h. die betreffende Person durchlebt das Trauma in der Meditation erneut. Bitte lies dazu auch meinen medizinischen Haftungsausschluss.

Bildquelle: © Chillchilllanla | »Hand auf Kastenbuddha-Statue« | Dreamstime.com

Die Meditation der liebenden Güte soll Dir vor allem bewusst machen, dass alle Lebewesen frei von Leid sein wollen und wir mit allen Mitgefühl haben können, ganz gleich, was diese Person auch getan hat. Das bedeutet nicht, dass wir das gut finden, was diese Person getan hat und das sollten wir dieser Person auch sagen. Wir verstehen aber, warum diese Person das getan hat bzw. zu dem Menschen wurde, der er heute ist und können mitfühlen. Im Buddhismus nennt man das »das scharfe Schwert des Mitgefühls«. Thich Nhat Hanh sagt:

Liebe (Mitgefühl) und Verstehen sind ein und dasselbe, ohne Verstehen keine Liebe (Mitgefühl) und ohne Liebe (Mitgefühl) kein Verstehen

Er hat dazu ein wunderschönes Gedicht geschrieben Bitte nenne mich bei meinen wahren Namen, in dem das verständlich wird.

Als praktische Anleitung empfehle ich das bereits vorgestellte Übungsprogramm »Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« von Kristin Neff mit mehreren von erfahrenen Meditationsslehrern geleiteten Meditationen zum hören. Dabei ist eine weibliche Stimme (Christine Brähler) und eine männliche Stimme (Lienhard Valentin). Auf der Website des Arbor Verlages kannst Du Dir eine Hörprobe anhören. Möchtest Du tiefer in diese Praxis einsteigen, empfehle ich das dazugehörige Grundlagenwerk von Kristin Neff »Selbstmitgefühl – Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden« und »Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl« von Christopher Germer.

Noch besser ist natürlich ein Kurs oder ein Seminar, in dem Du die Praxis in einer Gruppe durch einen professionellen Meditationslehrer erlernen kannst.

Aus Wissenschaft und Forschung

Der folgende Auszug ist aus dem bereits angesprochenen Buch »Meditation im Alltag« von Mark Williams und Danny Penman:

Der Inselkortex und die Empathie:

Wissenschaftler haben mithilfe der funktionalen Kernspin- beziehungsweise Magnetresonanztomografie (FMRT) nachgewiesen, dass der Inselkortex durch Meditation energetisiert wird.1 Das ist deshalb so bedeutsam, weil dieses Gehirnareal in unserem menschlichen Gefühl von Richtig und Falsch eine zentrale Rolle spielt, da es uns hilft, auf sehr reale und instinktive Weise Empathie zu empfinden. Empathie erlaubt es uns gewissermaßen, in die Seele eines anderen Menschen hineinzuschauen und sein Leid »von innen heraus« zu verstehen.

Dadurch stellt sich echtes Mitgefühl und liebevolles Wohlwollen ein. Könnten Sie dieses Gehirnareal im Scanner betrachten, während Sie empathisch mit einem Menschen verbunden sind, würden Sie sehen, wie es vor Leben pulsiert.2 Meditation trägt nicht nur zu einer Stärkung des Inselkortex bei, sondern lässt diesen auch wachsen und expandieren.

Warum das so wichtig ist? Nun, Empathie bringt nicht nur der Gesellschaft und der Menschheit im Allgemeinen Vorteile, sondern ist auch gut für uns selbst. Gesundheit und Wohlbefinden profitieren im hohen Maße, wenn wir uns und anderen gegenüber Empathie, echtes Mitgefühl und liebevolles Wohlwollen empfinden. Je länger ein Mensch meditiert, desto höher entwickelt ist sein Inselkortex.

Doch schon ein achtwöchiges Achtsamkeitstraining reicht aus, um genau jene Art von Veränderungen zu bewirken, die der Funktion dieses kritischen Gehirnareals entgegenkommen.3

Quelle: »Meditation im Alltag« von Mark Williams und Danny Penman.
Fussnoten:1. Farb, N., Segal, Z.V., Mayberg, H., Bean, J., McKeon, D., Fatima, Z., und Anderson, A. (2007), »Attending to the present: Mindfulness meditation reveals distinct neural modes of self-reference«, Social Cognitive and Affective Neuroscience, 2, S. 313–322. 2. Singer, T., et al. (2004), »Empathy for Pain Involves the Affective but not Sensory Components of Pain«, Science, 303, S. 1157. 3. Farb, N.A.S., Anderson, A.K., Mayberg, H., Bean, J., McKeon, D., und Segal, Z.V. (2010), »Minding one’s emotions: Mindfulness training alters the neutral expression of sadness« Emotion, 10, S. 225–233.

Schon der große Wissenschaftler Albert Einstein verstand, warum das Mitgefühl für Menschen essenziell ist

Ein Mensch ist Teil des großen Ganzen, das wir “Universum” nennen – ein zeitlich und räumlich begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst, sein Denken und Fühlen, als etwas, das vom Rest getrennt ist – eine Art optische Täuschung des Bewusstseins. Diese Täuschung ist für uns wie ein Gefängnis und beschränkt uns auf unsere persönlichen Wünsche und auf die Liebe zu den Wenigen, die uns am nächsten stehen. Wir müssen es uns zur Aufgabe machen, uns aus diesem Gefängnis zu befreien, indem wir unseren Umkreis des Mitgefühls und der Liebe erweitern, bis er alle lebenden Wesen und die gesamte Natur in ihrer Schönheit einschließt.

Das Konzept aus Achtsam sein, Beharrlich sein und Selbstmitfühlend sein, läßt sich auch sehr schön bildlich darstellen. Dafür stelle ich Dir zum Schluss die Symbolkraft der Lotusblüte im Buddhismus vor.

Weiterlesen »

1., 2., 3., 4., 5. und 6. Christopher Germer: »Der achtsame Weg zur Selbstliebe&lauqo;, Kapitel 1, S. 49 (zu 1., 2.), Kapitel 4, S. 114–115 (zu 3.), Kapitel 5, S. 131–143 (zu 4.), Kapitel 6, S. 164-166 (zu 5. und 6.)

Titelbild: © Chillchilllanla | »Hand auf Kastenbuddha-Statue« | Dreamtime.com

Dir hat dieser Beitrag gefallen?

Veröffentlicht von

Das bin ich: Blogger, Webdesigner und Künstler. In diesem Blog schreibe ich über meine Erfahrungen mit der Heilkraft der buddhistischen Psychologie und dem Absetzen von Psychopharmaka. Ich gebe wertvolle Tipps und zeige einen erfolgreichen Weg aus der Psychopharmaka-Falle durch das A-B-S-Konzept.