Meine Buchrezensionen

Hier findest Du meine Buchrezensionen, die ich bei amazon.de veröffentlicht habe. Weitere Buchempfehlungen findest Du unter »Inspirierendes » Literatur

»Das Selbstwertgefühl loslassen und uns selbst so sehen, wie wir sind«

Buchcover »Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« von Kristin Neff

Quelle: Arbor Verlag

Meine Rezension zum Buch »Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« von Kristin Neff

»Selbstmitgefühl Schritt für Schritt« ist eine kompakte Anleitung für das von Kristin Neff und Christopher Germer entwickelte Training »Mindful Self-Compassion« (deutsch: »achtsames Selbstmitgefühl«) zur Entwicklung von mehr Selbstmitgefühl im täglichen Leben. Es enthält praktische Übungen und Meditation, die von den erfahrenen Meditationstrainern Christine Brähler und Lienhard Valentin angeleitet werden. Die Stimmen sind angenehm und warm, man merkt beiden Sprechern an, dass sie das vermittelte praktisch lehren und leben.

Die Übungen lassen sich gut in den Alltag integrieren und sind leicht nachvollziehbar. Die Texte erklären die Übungen und bieten eine kompakte Zusammenfassung von Neff’s Grundlagenwerk »Selbstmitgefühl – Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden« über ihre wissenschaftlichen Arbeiten zum Selbstmitgefühl.

Ein zentrales Thema der wissenschaftlichen Arbeiten von Neff ist die »Selbstwertproblematik«. Meiner Ansicht nach eines der wichtigsten Probleme unserer modernen Gesellschaft, daher hebe ich es in dieser Rezension besonders hervor:

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Kristin Neff schreibt:

Die Vorstellung, dass ein hohes Selbstwertgefühl von psychischer Gesundheit zeugt, ist in der westlichen Kultur so weit verbreitet, dass die Leute entsetzt davor zurückschrecken, irgendetwas zu tun, was dieses Selbstwertgefühl gefährden könnte. Wir haben gelernt, dass wir um jeden Preis ein positives Selbstbild wahren müssen.

Unser ganzes Wirtschaftssystem ist darauf aufgebaut, uns mit Idealbildern aus Medien und Arbeitswelt zu vergleichen. Wir werden dazu aufgefordert Dinge haben zu müssen, die Andere auch haben, um »cool« zu sein, um »hipp« zu sein, um Anerkennung zu bekommen, um »dazu zu gehören«. Ratgeber, Apps und Werbung suggerieren uns:

»Du bist nicht gut genug, aber Du kannst das ändern!«

»Du kannst so sein, Du kannst so aussehen, wie die in der Werbung, «

»Du kannst so erfolgreich sein und berufliche Karriere machen,«

»Du kannst reich UND glücklich werden.«

Sie treiben uns an zur Selbstoptimierung: für mehr Leistung im Beruf, für mehr Erfolg, für ein besseres Aussehen, Fitness und ein hohes Selbstwertgefühl. Und vor lauter Selbstoptimierung verlieren wir uns und das, was uns wirklich wichtig ist aus den Augen, wir jagen einem Ziel nach dem anderen hinterher und werden zunehmend frustrierter, unzufriedener, ja sogar depressiv und krank.

Denn Tatsache ist: Es ist logisch unmöglich, dass jeder gleichzeitig über dem Durchschnitt ist. Die Definition von Durchschnitt bedeutet, dass man so ist, wie die meisten Menschen. Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen, in manchen Dingen bin ich gut, in anderen schlecht und in den meisten durchschnittlich. Kristin Neff schreibt:

Wenn wir uns besser als andere sehen müssen, um uns gut genug zu fühlen, dann finden wir Wege, um die Realität unseres eigenen Wesens auszublenden. Und wir finden Wege, um andere herablassend zu behandeln. Wir sehen sie dann nicht in solch einem guten Licht, wie wir es sonst tun würden. Denn es hilft uns dabei, uns im Vergleich mit ihnen gut genug zu fühlen.

Tatsächlich führt das propagierte »hohe Selbstwertgefühl« leicht zu Arroganz, Selbstgerechtigkeit, Selbstsucht, Egoismus oder einem trügerischen Gefühl der Überlegenheit (was dann leicht Diskriminierung und Vorurteile hervorrufen kann). Dies kann in extremen Formen bis zum »Narzissmus« führen und tatsächlich wurde ein starker Anstieg narzisstischer Verhaltensweisen in unserer westlichen Gesellschaft in mehreren wissenschaftlichen Studien nachgewiesen. Neff spricht sogar von einer »Narzissmus-Epidemie« in den USA.

Der Weg unseren Selbstwert davon abhängig zu machen, wie wir uns selbst beurteilen bzw. wie uns die Gesellschaft beurteilt, ist ebenso ein Irrweg, wie unser Selbstbild davon abhängig zu machen, wie wir glauben, von der Gesellschaft wahrgenommen zu werden oder wahrgenommen werden wollen. Die Betonung liegt dabei auf glauben.

Den wissenschaftlichen Forschungen und Publikationen von Kristin Neff ist es zu verdanken, dass immer mehr Psychologen und Wissenschaftler von dem Irrweg des »hohen Selbstwertgefühls« als Quelle für ein erfolgreiches und glückliches Leben abkommen. Neff zeigt einen anderen, einen heilsamen Weg: Freundschaft mit uns selbst schließen. Uns so annehmen zu können, wie wir sind, mit all unseren Stärken und Schwächen und dass wir kein »hohes Selbstwertgefühl« für ein zufriedenes und erfülltes Leben brauchen. Dafür brauchen wir Selbstmitgefühl.

Zur Vertiefung der Kultivierung von mehr Selbstmitgefühl und wissenschaftlichen Studien empfehle ich Neffs Grundlagenwerk sowie das Buch von Christopher Germer »Der achtsame Weg zur Selbstliebe«.

»Wunderbar«

»Der achtsame Weg zum Selbstmitgefuehl, Wie man sich von destruktiven Gedanken und Gefühlen befreit« von Christopher Germer

Quelle: Arbor Verlag

Meine Rezension zum Buch »Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl« von Christopher Germer

Wer kennt das nicht, es läuft etwas ganz furchtbar schief, man macht einen Fehler oder es geht etwas nicht so, wie man es sich vorgestellt hat und obwohl das nur allzu menschlich ist, kritisiert man sich auch noch dafür oder verurteilt sich selbst für die eigenen Unzulänglichkeiten.

Mit seinem klugen Buch zeigt uns der amerikanische Psychologe Christopher Germer wie wir uns aus destruktiven Gedanken, Gefühlen und Verhalten befreien können. Er zeigt uns einen Weg auf, fürsorglicher, mitfühlender und freundlicher mit uns umzugehen, gerade auch dann, wenn es uns ohnehin schon schlecht geht und wir so ganz nebenbei auch mehr Mitgefühl und Freundlichkeit anderen Menschen gegenüber entwickeln.

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Dazu führt er den Leser in die Praxis der Achtsamkeit und der »Liebenden Güte« ein. Beides sind jahrtausendealte buddhistische Meditationsformen. Germer gelingt es dabei diese Meditationen leicht verständlich in die moderne westliche Welt zu übertragen und miteinander zu verbinden. Viele der praktischen Übungen lassen sich auch in den stressigen Alltag integrieren. Er nimmt den Leser verständnisvoll und mitfühlend an die Hand und zeigt eindrucksvoll, dass Selbstmitgefühl mehr ist, als »in Selbstmitleid zu zerfließen« und nichts mit Egoismus zu tun hat. Christopher Germer selbst drückt das so aus:

In einem Raum voller Menschen ist es sinnvoll, der Person zu helfen, die am meisten leidet, die man am besten kennt, der man am besten helfen kann. Und manchmal sind Sie diese Person, manchmal ist es jemand anders… Selbstmitgefühl bedeutet einfach, dass wir uns selbst dieselbe Freundlichkeit entgegenbringen, mit der wir uns um andere kümmern würden.

Dabei nimmt er immer wieder Bezug auf die gegenwärtige wissenschaftliche Forschung über den Aspekt der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls. Dieses Buch ist eine absolute Bereicherung.

Weitere Informationen:

Titel: »Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl: Wie man sich von destruktiven Gedanken und Gefühlen befreit«
Autor: Christopher Germer
Originaltitel: »The mindful path to self-compession: freeing yourself from destructive thoughts an emotions«
Verlag: Arbor-Verlag (1. Juli 2011)
ISBN 10: 3867810117
ISBN 13: 978-3867810111
CD zum Buch: Separat erhältlich in deutsch: »Achtsames Selbstmitgefühl«

»Wie Sie ein erfülltes, zufriedenes und wertvolles Leben schaffen – Leicht verständliche und kurzweilige Einführung in ACT«

Meine Rezension zum Buch »Raus aus der Glücksfalle: Ein Umdenk-Buch in Bildern« von Russ Harris

Mit diesem kleinen (ca. 150 Seiten) aber feinen Taschenbuch präsentiert der Arzt und Psychologe Russ Harris zusammen mit der Buchautorin und Illustratorin Bev Aisbett eine leicht verständliche und kurzweilige Fassung seines Bestsellers »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei« über die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT).

Dabei gelingt es ihm wieder Mal das Konzept von ACT (Achtsamkeit, Akzeptanz, wertgeleitetes Handeln und Selbstmitgefühl) in kurzen, einprägsamen Sätzen zu vermitteln. Die pointierten Illustrationen von Bev Aisbett unterstreichen das Vermittelte heiter und mit einem Augenzwinkern.

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So macht es Freude mit diesem Buch zu arbeiten und zwar praktisch. Darauf weist Harris auch immer wieder hin. Es ist wichtig, die vorgestellten Übungen und Techniken auch tatsächlich auszuprobieren und zu trainieren.

Ich selbst mache gerade eine solche Therapie und die Übungen und Techniken helfen mir sehr dabei, mit meinen Problemen auf eine andere Art und Weise umzugehen. Die Bücher von Harris sind dabei wertvolle Begleiter.

Der Vorteil dieses Konzeptes gegenüber anderen Therapien liegt darin, mit negativen Gedanken anders umzugehen. Statt sie mit der Realität abzugleichen, sie in Frage zu stellen oder gar zu versuchen sie durch andere positive Gedanken zu ersetzen, werden sie entschärft. Durch das Achtsamkeitstraining lernt man seinen Gefühlen und Empfindungen (Körper) Raum zu geben, sie da sein zu lassen und im Hier und Jetzt präsent zu sein. Somit fällt es viel leichter durch wertgeleitetes Handeln gewünschte Veränderungen herbeizuführen, um ein erfülltes, zufriedenes und wertvolles Leben zu schaffen.

Sehr zu empfehlen ist auch das Nachfolgewerk »Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt« zur Unterstützung und Bewältigung von schwierigen Krisen.

Weitere Informationen:

Titel: Raus aus der Glücksfalle – Ein Umdenk-Buch in Bildern
Autor: Russ Harris
Originaltitel: »The Happiness Trap Pocketbook«
Verlag: Kösel Verlag (31. März 2014 )
ISBN 10: 3466310075
ISBN 13: 978-3466310074

»Wenn das Leben einem einen Schlag versetzt«

Meine Rezension zum Buch »Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt« von Russ Harris

Der englische Originaltitel trifft es: »The Reality Slap – Finding Peace and Fulfillment when Life hurts« also in etwa »die Realitätskluft – Frieden und Erfüllung finden, wenn das Leben schmerzt.« Lassen Sie sich bitte nicht von der meiner Meinung nach sehr unglücklichen deutschen Titel- und Coverwahl abschrecken, es wäre schade, wenn Ihnen deshalb dieses wertvolle und wichtige Buch entgehen würde.

Zum Inhalt: Nach seinem weltweiten Bestseller »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei« hat der Arzt, Psychologe und Coach Russ Harris ein weiteres Buch über die wissenschaftlich fundierte und in den USA und vielen anderen Ländern sehr erfolgreiche »Akzeptanz- und Commitment-Therapie« (ACT) geschrieben.

Es ist ein Leitfaden zur praktischen Anwendung in Krisenzeiten, wenn uns das Leben einen Schlag versetzt, sei es durch Verlust eines geliebten Menschen, Krankheit, Behinderung, Sucht oder ein anderes schlimmes Ereignis, aber auch bei Einsamkeit, Zurückweisung, Enttäuschung oder Angst. Dann werden wir von Schmerz und Leid überwältigt und hadern mit uns und dem Leben, sind verzweifelt oder hoffnungslos.

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In jedem Fall werden wir mit einer großen Kluft zwischen der tatsächlichen Realität und jener Realität konfrontiert, die wir uns wünschen. Je größer diese Kluft ist, desto größer ist der Schmerz und das Leid.

Es hat mich tief bewegt, wie Russ Harris eindrucksvoll und auf sehr persönliche Art schildert, wie ihm das Leben aufgrund eines solchen Schlages den sprichwörtlichen Boden unter den Füssen weggezogen hat und sich eine große Kluft in seinem Leben auftat.

Er zeigt anhand seiner eigenen Geschichte mit Hilfe der Konzepte von ACT (Achtsamkeit, Werte, Akzeptanz und Selbstmitgefühl) eine Strategie, die uns hilft die Kluft zu schließen, falls sie geschlossen werden kann, und selbst dann innere Erfüllung zu finden, falls diese Kluft – vorübergehend oder permanent – nicht geschlossen werden kann.

Es gibt massenweise Bücher, die behaupten, man könne alles im Leben erreichen, was man wolle, das alles möglich sei, wenn man sich genug anstrengen würde oder lernen würde »positiv zu denken« und es gibt einige wenige Bücher, die behaupten, man könne nicht alles erreichen, was man wolle, aber dennoch ein reiches, erfülltes und zufriedenes Leben führen, selbst wenn es hart, grausam oder ungerecht ist. Dieses Buch gehört eindeutig zur zweiten Kategorie.

Weitere Informationen:

Titel: »Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt: Unterstützung in schwierigen Zeiten.«
Autor: Russ Harris
Originaltitel: »The Reality Slap. How to Find Fulfilment When Life Hurts«
Verlag: Kösel-Verlag (1. April 2013)
ISBN 10: 3466309573
ISBN 13: 978-3466309573
CD zum Buch: Separat als MP3-Dateien in englischer Sprache:
»Exercises & Meditations from the Reality Slap«

»Ein lebenswertes Leben schaffen«

Meine Rezension zum Buch »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei« von Russ Harris

Eines vorweg, dies ist KEIN Glücksratgeber. Das Buch basiert auf einer neuen, wissenschaftlich fundierten und in den USA und anderen Ländern sehr erfolgreichen Verhaltenstherapie, der »Akzeptanz- und Commitmenttherapie« (ACT).

Der deutsche Titel mag etwas unglücklich gewählt sein, im Original heißt das Buch »The Happiness Trap« also »Die Glücksfalle«, was viel treffender ist, da Russ Harris gleich zu Beginn dieses Buches aufzeigt, was die Glücksfalle ist, wie wir sie aufstellen, hineintappen und wie wir uns wieder daraus befreien können.

Lassen Sie sich also nicht vom Titel abschrecken, es wäre schade, wenn Ihnen deshalb dieses spannende und wertvolle Buch entgehen würde.

Dem Arzt, Psychotherapeuten und Coach Dr. Russ Harris ist es gelungen ein Buch zu schreiben, das basierend auf der von ihm praktizierten ACT dem Leser einen neuen spannenden Weg zu einem erfüllten und zufriedenem Leben aufzeigt, indem u. a. die Praxis der Achtsamkeit mit einbezogen wird, die in der heutigen Psychologie einen immer größeren Stellenwert erhält.

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Dabei hat mich besonders beeindruckt, dass Dr. Harris den Leser immer wieder dazu auffordert, dass was er schreibt, an Hand der vorgeschlagenen praktischen Übungen kritisch zu überprüfen und ihm nicht einfach zu vertrauen. Das macht das Buch lebendig und authentisch und es macht Freude darin zu lesen und damit zu arbeiten.

Wer bereits Erfahrung mit kognitiver Verhaltenstherapie hat, der wird tatsächlich in vielerlei Hinsicht umdenken müssen, aber das lohnt sich. Ich greife immer wieder gerne darauf zurück und nach gut einem Jahr ambulanter ACT, bin ich davon überzeugt, dass dieses Buch für Viele eine große Hilfe sein kann, um zu lernen, Gedanken und Gefühle so zu akzeptieren, wie sie sind und bewusster im »Hier und Jetzt« zu leben und zu handeln.

Es ist sicherlich kein Buch, dass man schnell nebenbei durchliest, man sollte sich Zeit dafür nehmen, und die Übungen auch wirklich praktizieren, um davon profitieren zu können. Ein lebenswertes Leben zu schaffen braucht Zeit.

Wer jetzt neugierig geworden ist und sich auf das Buch einlassen kann, begibt sich auf eine phantastische Abenteuerreise in teils unbekannte Welten und Russ Harris ist dabei ein wertvoller Reisebegleiter.

Sehr gelungen finde ich auch das Geleitwort von Konstantin Wecker zur deutschen Ausgabe und das Vorwort von Dr. Steven Hayes, einem der Begründer von ACT.

Weitere Informationen:

Titel: »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei – Ein Umdenkbuch«
Autor: Russ Harris
Originaltitel: »The Happiness Trap: Stop Struggling, Start Living«
Verlag: Goldmann Verlag (18. März 2013)
ISBN 10: 3442173450
ISBN 13: 978-3442173457
CD zum Buch: Separat als MP3-Dateien in englischer Sprache: »Mindfulness Skills Volume 1 & 2«

»Das erste Handbuch zum richtigen reduzieren und absetzen von Psychopharmaka für Betroffene und Fachkräfte«

Genug geschluckt! | Psychopharmaka erfolgreich und dauerhaft absetzen | Knaur Menssana

© Knaur MensSana HC

Meine Rezension zum Buch »Genug geschluckt!: Psychopharmaka erfolgreich und dauerhaft absetzen« von Peter und Mahinda Ansari

Endlich ein Handbuch, das zeigt, wie man Psychopharmaka möglichst sanft reduziert und absetzt.

Peter Ansari ist Gründer des Infoportals »depression-heute.de«, eine unverzichtbare Quelle für neue Entwicklungen in der Psychiatrie und der Schwerpunkt liegt konkret darauf, wie man Psychopharmaka richtig reduziert und absetzt und das möglichst sanft.

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Was Betroffene im deutschsprachigen Raum bisher mühsam aus Foren wie dem Psyab.net oder Facebookabsetzgruppen zusammen suchen mussten wurde nun in ein Buch aufgenommen, es ist für mich DAS Handbuch für Betroffene und Fachkräfte mit konkreten, leicht zu verstehenden Anweisungen und daher besonders gut geeignet für Menschen mit Depressionen, deren Konzentration und Aufmerksamkeit krankheitsbedingt mehr oder weniger stark beeinträchtigt sind. Es zeigt, das die offizielle Absetzmethode viel zu schnell ist und das schlimme Konsequenzen für Betroffene haben kann. Das Wissen von Betroffenen ist in dieses Buch eingeflossen und macht es somit besonders wertvoll. Der beste Experte ist nunmal Derjenige, der davon Betroffen ist.

Leider gibt es keine Garantie! das so ein Entzug gelingt, jedoch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches, wenn man sich an die Anleitungen und Tipps aus diesem Buch hält, um erfolgreich und möglichst sanft zu reduzieren und abzusetzen. Jeder Psychopharmakaentzug ist einzigartig, keiner gleicht einem anderen, da unsere Gehirne ebenfalls einzigartig sind und keines einem anderen gleicht.

Es tut sich endlich was, auch dank des unermüdlichen Engagements von »depression-heute.de«. Leider hinken wir den USA noch weit hinterher.

Weitere Informationen:

Titel: Genug geschluckt!: Psychopharmaka erfolgreich und dauerhaft absetzen
Autoren: Peter und Mahinda Ansari
Verlag: Knaur MensSana HC (1. April 2022)
ISBN 10: 3426658992
ISBN 13: 978-3426658994

Nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Antidepressiva können körperlich abhängig machen.

buchcover Antidepressiva wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte

© Südwest Verlag

Meine Rezension zum Buch Antidepressiva. Wie man die Medikamente bei der Behandlung von Depressionen richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte. vom Mitautor der Behandlungsleitlinie für Depressionenvon Prof. Dr. med. Tom Bschor

Das Buch ist leider nicht auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand, da es die zwei wichtigsten Übersichtsstudien (Metaanalysen, wie die im Buch von Bschor erwähnte Cipriani-Studie) nicht enthält. Eine davon zeigt, dass Antidepressiva insgesamt NICHT besser wirken als ein Placebo, die andere zeigt, dass Antidepressiva körperlich abhängig machen und Antidepressivaentzugssymptome bisher in ihrer Häufigkeit, Dauer und Schwere unterschätzt wurden.

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Wirksamkeit von Antidepressiva

Im Buch schreibt Bschor über die Wirksamkeit von Antidepressiva:

Bei Studien hingegen, die mit schwer depressiven Patienten (um die 30 Punkte auf der Hamilton-Depressionsskala zum Studienbeginn) durchgeführt worden waren, zeigten die Antidepressiva einen besseren Effekt als Placebo: Am Ende der Behandlung hatten die Patienten aus der Antidepressiva-Gruppe eine Depressionsschwere, die um drei (oder mehr) Hamilton-Punkte geringer war als bei den Patienten der Placebo-Gruppe. (Seite 136)

Zu den Argumenten, die für eine Antidepressivabehandlung sprechen, gehört, dass die Zusammenschau der verfügbaren kontrollierten Studien (RCTs) gezeigt hat, dass alle Antidepressiva wirksamer gegen Depressionen sind als ein Scheinmedikament. Das gilt zwar nicht für jede einzelne Studie, aber für die Gesamtauswertung aller Studien, wie zuletzt die umfassende Metaanalyse von Cipriani und seinen Kollegen zeigte. (Seite 141)

Neue Übersichtsstudie (2018)

Eine neue Übersichtsstudie aus dem Jahr 2018 des unabhängigen Nordic Cochrane Centre bestätigt die Ergebnisse von Irving Kirsch. Es wurden 522 klinische Untersuchungen mit 116.477 Teilnehmern ausgewertet. Das Ergebnis fasst der Leiter der Studie, Dr. Klaus Munkholm, folgendermaßen zusammen:

Was wir herausgefunden haben ist folgendes: Die Wirkung von Antidepressiva und Placebo unterscheidet sich nur um 1,97 Punkte auf einer Skala von 52 Punkten. Dieser Unterschied ist minimal.

Eine Verbesserung um nur 1,97 Punkte auf der »Hamilton-Skala« ist eine so minimale Verbesserung der Depression, dass sie von einem Arzt nicht festgestellt werden kann.

Considering the methodological limitations in the evidence base of antidepressants for depression: a reanalysis of a network meta-analysis (englisch)

Beitrag Schweizer Fernsehen: Antidepressiva nicht besser als Placebo von depression-heute.de zur Übersichtsstudie des Nordic Cochrane Centre (deutsch)

Abhängigkeitspotenzial von Antidepressiva

Bzgl. dem Absetzen von Antidepressiva, Entzugssymptomen und Abhängigkeitspotenzial schreibt Bschor folgendes:

Das trägt dazu bei, dass leider nicht genau geklärt ist, wie viel Prozent der Patienten nach dem Ende einer Antidepressivamedikation derartige Entzugssymptome entwickeln. Die Schätzungen gehen von bis zu einem Drittel aus. (Seite 113)

Wie auch die Entzugssymptome bei der Alkoholkrankheit sollten die Entzugserscheinungen von Antidepressiva nur wenige Tage bis drei Wochen anhalten. (Seite 113)

Die beste Vorbeugung vor Entzugssymptomen ist, das Antidepressivum möglichst langsam auszuschleichen, das heißt Schritt für Schritt die Dosierung zu reduzieren. Für die meisten Menschen sollte ein Zeitraum von vier bis sechs Wochen genügen. (Seite 114)

Es ist mittlerweile unstrittig, dass bei bis zu einem Drittel aller Patienten Entzugssymptome auftreten, wenn sie nach längerer Dauer die Antidepressiva-Einnahme beenden. Meistens sind die Entzugssymptome von kurzer Dauer und eher harmlos, es ist aber wichtig, dass die Patienten von ihren Ärzten hierüber aufgeklärt werden, damit sie die Erscheinungen verstehen und einordnen können. (Seite 114)

Eine Abhängigkeit definiert sich allerdings nicht ausschließlich über das Auftreten von Entzugssymptomen. Vielmehr führen Suchtstoffe zu weiteren typischen Zeichen einer Abhängigkeit. Es müssen mehrere, wenngleich nicht alle, dieser Zeichen vorliegen, damit eine Sucht diagnostiziert werden kann. (Seite 115)

Bei Antidepressiva gibt es neben den Entzugssymptomen mitunter erhebliche Schwierigkeiten, die Einnahme wieder zu beenden, worauf wir gleich im Detail eingehen. Die anderen Abhängigkeitszeichen lassen sich allerdings in der Regel nicht beobachten. (Seite 115)

Es ist also unstrittig, dass Antidepressiva Entzugssymptome verursachen können. Von einer Abhängigkeit, wie sie klassische Suchtstoffe wie Benzodiazepine (Beruhigungsmittel) erzeugen, kann aber nicht gesprochen werden. (Seite 116)

Antidepressiva machen nicht in der gleichen Art abhängig wie Schlaf- oder Beruhigungsmittel. (Seite 151)

Bemerkenswert in der letzten zitierten Aussage von Bschor ist die Formulierung Antidepressiva machen nicht in der gleichen Art abhängig, er schließt damit nicht aus, dass Antidepressiva auf eine andere Art abhängig machen können.

Neue Übersichtsstudie Antidepressivaentzugssymptome (2018)

Die zweite Übersichtsstudie betrifft Antidepressivaentzugssymptome. Sie ist von Dr. James Davies von der University Roehampton, London und Professor John Read von der University East London aus dem Jahr 2018.

Sie zeigt, dass die Häufigkeit, Dauer und Schwere von Antidepressivaentzugssymptomen bisher deutlich unterschätzt wurde und die bisherigen Behandlungsleitlinien nicht ausreichend sind.

A systematic review into the incidence, severity and duration of antidepressant withdrawal effects: Are guidelines evidence-based?

Wichtigste Ergebnisse in der Übersicht

  • Bei durchschnittlich 56% der Patienten traten beim Reduzieren und Absetzen von Antidepressiva Entzugssymptome auf (nicht wie von Bschor geschätzt nur bei 1/3 aller Patienten),[1]
  • bei 46% der Patienten waren diese schwerwiegend.[2]
  • Je länger die Einnahme dauert, desto wahrscheinlicher treten Entzugssymptome auf.[3]
  • Die Zahl der Langzeiteinnahmen steigt. Etwa 50% der Betroffenen nahmen Antidepressiva mindestens 2 Jahre lang ein.[4, 5, 6, 7]
  • Entzugserscheinungen können Wochen, Monate, schlimmstenfalls sogar Jahre anhalten (nicht wie von Bschor behauptet nur wenige Tage bis 3 Wochen).
  • 30% aller Befragten konnten auf unbestimmte Zeit ihrer Arbeit wegen der Entzugserscheinungen nicht mehr nachgehen.
  • Mehrere Patientenerhebungen zeigten wenig ärztliche Unterstützung trotz häufiger schwerer Entzugssymptome.
  • Die Behandlungsleitlinien in den USA und England sind nicht ausreichend und müssen überarbeitet werden. Das gilt auch für die deutschen Behandlungsleitlinien.

Diese Übersichtsstudie wurde auch in der Ausgabe 12/2019 der Fachzeitschrift »NeuroTransmitter« des BVDN (Berufsverband deutscher Nervenärzte) in dem Artikel Absetzen von Antidepressiva und Neuroleptika: Überfällige ärztliche Hilfen von Peter Lehmann und Markus Kaufmann veröffentlicht. Die vollständige Ausgabe kann auf der Website des BVDN kostenlos als PDF-Dokument heruntergeladen werden:

Die komplette Ausgabe des NeuroTransmitters 12/2019 gibt es hier als PDF (Beitrag ab Seite 18)

Die DGSP (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie) hat kürzlich ein wichtiges Positionspapier veröffentlicht, in dem die Annahmen über Antidepressiva den wissenschaftlichen Fakten gegenübergestellt werden. Als Ergebnis hat der Vorstand der DGSP dazu ein Papier erstellt, in dem ein Umdenken über die Behandlung mit Antidepressiva gefordert wird. Die Forderungen richten sich an die Gesundheitspolitik, Krankenkassen, Leistungsträger und deren Fachverbände.

Darin heißt es zum Thema Abhängigkeit:

Wir wollen den alten Streit um die Begriffe Abhängigkeit und Entzug nicht weiter verfolgen. Es ist eindeutig, dass die Patienten körperliche Entzugserscheinungen beim Absetzen der Medikamente erleiden können. Hauptstreitpunkt der Debatte ist das nicht vorhandene drogensuchende Verhalten bei Nutzern von Antidepressiva. Ob dies eine Rechtfertigung für den Nichtgebrauch des Wortes Abhängigkeit darstellt, darf bezweifelt werden.

Beide Dokumente können als PDF-Datei auf der Website der DGSP kostenlos heruntergeladen werden:

Dokumente herunterladen und lesen

Zur Definition des Begriffs »Abhängigkeit« und welche Kriterien dafür erfüllt sein müssen, um von einer körperlichen Abhängigkeit bzw. einer Sucht zu sprechen, muss man das Folgende wissen:

Das SSRI-Absetzsyndrom

2003 berief die Regierung in Großbritannien aufgrund immer offensichtlicher werdender Beweise für das Abhängigkeitspotenzial von »SSRI-Antidepressiva« eine Sonderkommission ein. Daraufhin musste der britische Pharmariese GlaxoSmithKline (GSK), Hersteller von Seroxat (Paroxetin), eine Änderung der Gebrauchsinformationen vornehmen, die auf ein Abhängigkeitspotenzial des Medikaments hinweist und eine etwa 25-prozentige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Absetzsymptomen einräumt.[8]

Daraufhin finanzierten betroffene Pharmafirmen eine vertrauliche Experten-Konferenz und beschlossen, Entzugserscheinungen in »Absetzsyndrom« umzubenennen, um negative Assoziationen zu vermeiden.[9]

Seit dem bildet das SSRI-Absetzsyndrom eine eigenständige Diagnose im Klassifikationshandbuch der Medizin.[10]

Neue Definition des Suchtbegriffs

Das Universitäten und Ärzte ein Abhängigkeitspotenzial bei SSRI-Antidepressiva leugnen liegt auch daran, dass die Pharmahersteller sich bereits in den 80er Jahren im Zuge der Zulassung des ersten SSRI-Antidepressivums Prozac (Fluoxetin), vorsichtshalber entschlossen, die Definition des medizinischen Begriffes für Sucht anzupassen. Zuvor galt: Wenn es körperliche Entzugserscheinungen gibt, besteht eine Abhängigkeit. Seit 1987 müssen mehrere Faktoren gleichzeitig erfüllt sein, damit ein Patient als abhängig gilt, eine reine körperliche Abhängigkeit reicht nicht mehr aus, um ein Medikament als suchterzeugend gilt, so muss der Patient u. a. regelmäßig nach höheren Dosen verlangen und zusätzliche Gesundheitsgefährdungen vorliegen.[11]

Warum diese beiden aktuellen und wichtigen Studien nicht im Buch von Bschor enthalten sind, lässt sich höchstens dadurch begründen, dass das Buch ebenfalls im Jahr 2018 publiziert wurde und diese nicht mehr in das Buch mit einfließen konnten. Dann würde ich mir wünschen, dass es eine 2. Auflage des Buches gibt, die diese wichtigen Studien berücksichtigt.

Psychotherapie vs. Antidepressiva

Besonders grotesk und unverständlich ist der Vergleich der Vor- und Nachteile der Behandlung einer Depression mit Antidepressiva vs. Psychotherapie.. Hier merkt man deutlich, dass ein Psychiater und Schulmediziner und eben kein Psychologe über Psychotherapie schreibt, denn davon hat er offensichtlich keine Ahnung. Bschor schreibt:

Leider ist auch eine psychotherapeutische Behandlung nicht ohne Probleme. Im Vergleich zu medikamentösen Therapien ist Psychotherapie sehr viel zeitaufwendiger. Nicht jeder Patient kann problemlos wöchentliche Psychotherapie-Termine in seinen Alltag integrieren. Das Problem wird verschärft, wenn lange Anfahrtswege erforderlich sind. Einzeltherapie ist teuer, da ein hoch spezialisierter Therapeut für jeweils eine Stunde bezahlt werden muss. Wird die Psychotherapie von der Krankenkasse übernommen, fallen diese Kosten zwar nicht für den Patienten an, wohl aber für die Gemeinschaft der Versicherten. Die meisten Antidepressiva sind sehr preiswert, da der Patentschutz ausgelaufen ist. (S. 168)

Peter Ansari, Autor des Buches Unglück auf Rezept – die Antidepressivalüge und ihre Folgen schreibt auf seiner Website depression-heute.de in seiner Rezension zum Buch von Bschor dazu treffend:

Mit anderen Worten: Bevor man Patienten zu einer möglichst langfristigen Gesundheit, mit möglichst wenigen Rückfällen verhilft, sollte man doch lieber auf die Kosten schauen. Das Ethos hinter dieser Argumentation verblüfft. Zuerst glaubt man, man hätte sich verlesen, doch etwas später erklärt er: Ein Vorteil einer Antidepressivabehandlung ist die unkomplizierte und nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit der Medikamente. Antidepressiva können über ein dichtes Apothekennetz bezogen und in nahezu jeder Menge produziert werden. (S. 169)

Demnach muss gar nicht jeder einzelne Patienten so gut wie möglich behandelt werden, sondern es reicht, wenn möglichst viele Patienten irgendwie behandelt oder versorgt werden,

so Ansari. Die vollständige Rezension kann hier gelesen werden:

Rezension: Bschor – Antidepressiva

Bschor schreibt u.a. über die Akzeptanz- und Commitment-Theapie (ACT):

Zur Depressionsbehandlung werden weitere Psychotherapieformen eingesetzt, die alle nicht von den deutschen gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Eine spezifische Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie ist die sogenannte Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT), die hilft, psychische Symptome mehr zu akzeptieren und besser mit ihnen umzugehen (Commitment bedeutet Eingeständnis). ACT ist keine spezifische Depressionstherapie. (Seite 167)

ACT gehört in den USA, Australien und vielen anderen Ländern zu den Standard-Verhaltenstherapien bei Depressionen. In zahlreichen Studien wurde ihre Wirksamkeit in der Depressionsbehandlung nachgewiesen, da man mit ihr sehr schnell große Erfolge erzielen kann. ACT wird von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland im Rahmen einer Verhaltenstherapie bezahlt. (ich selbst mache eine solche Therapie bei einem von der gesetzlichen Krankenkasse zugelassenen Psychotherapeuten).

Ebenfalls als sehr erfolgreich nicht nur zur Rückfallprävention von Depressionen hat sich die von Bschor erwähnte MBCT erwiesen, weshalb in Großbritannien laut Behandlungsleitlinie MBCT bei leichten und mittelschweren Depressionen angewandt werden soll, dort dürfen Antidepressiva nur noch bei schweren Depressionen eingesetzt werden. Die deutsche Behandlungsleitlinie ist dagegen sehr schwammig formuliert, hier bleibt es dem Arzt überlassen, bei welchem Schweregrad er Antidepressiva verschreibt, es wird lediglich eine Empfehlung ausgesprochen.

Gar nicht erwähnt werden von Bschor weitere erfolgreiche Therapien zur Depressionsbehandlung wie CFT, MSC (Mindful Self-Compassion) oder EMDR (eine spezielle Traumatherapie).

Gedankenspiel Antidepressiva: Talisman oder Hochseilakt?

Auf Seite 143 lädt Bschor den Leser zu einem Gedankenspiel ein, um zu verdeutlichen, dass eine Behandlung mit Antidepressiva kaum Risiken birgt:

Angenommen, die Wissenschaft hätte herausgefunden, dass fünf Prozent aller depressiv Erkrankten eine Heilung durch das Tragen eines Talismans erreichen (Abbildung 16a, siehe unten). Man könnte einerseits das 95-prozentige Risiko, dass die Therapie scheitert, als viel zu hoch kritisieren. Man könnte jedoch andererseits auch fordern, dass jeder depressive Mensch dieses vollkommen harmlose und unschädliche Ritual probieren sollte, falls er zu den glücklichen fünf Prozent gehört. Treiben wir das Gedankenspiel noch etwas weiter: Vermutlich würde man sich gegen eine Depressionstherapie trotz einer 90-prozentigen Heilungschance entscheiden, wenn die Therapie darin bestünde, dass man eine Straßenschlucht ohne Hilfsmittel auf einem zwischen den Häusergiebeln gespannten Seil überqueren müsste (Abbildung 16b). Wie sind in dieser Hinsicht die Antidepressiva einzuschätzen: eher wie die Talisman-Therapie oder eher wie die Hochseil-Behandlung?

Da es sich bei Antidepressiva eher um schwach wirksame Medikamente handelt, ist mit Blick auf ihre Wirksamkeit der Talisman-Vergleich zutreffender.

Angesichts der Übersichtsstudie über Antidepressivaentzugssymptome, die bei durchschnittlich 56% der Patienten auftraten und bei 46% schwerwiegend waren und der geringen pharmakologischen Wirksamkeit dieser Medikamente, die in der Übersichtsstudie des Nordic Cochrane Centre bestätigt wurde, möchte man doch eher sagen, dass es einem Hochseilakt gleichkommen kann.

Fazit: Das Buch hinterlässt bei mir einen ambivalenten Eindruck. Im ersten Teil des Buches ist Bschor durchaus kritisch, was die Behandlung mit Antidepressiva angeht, ihre geringe Wirksamkeit wird betont, Risiken und Nebenwirkungen werden genannt, Studienverfahren angezweifelt. Das alles ist eine bemerkenswerte Offenbarung für einen Mitautoren der Behandlungsleitlinie. Bedenklich ist, dass sich seit den 1950er Jahren laut Bschor in der Pharmakologie und den Verfahrensweisen in der Psychiatrie kaum etwas verändert hat. Das ist ein Offenbarungseid der Psychiatrie und eines Mitautoren der Behandlungsleitlinie.

Im zweiten Teil relativiert Bschor seine Aussagen zum großen Teil wieder und spricht sich bei der Frage, ob man eine Depression mit Antidepressiva oder eher mit Psychotherapie behandeln sollte deutlich pro Antidepressiva aus, wie er das begründet ist grotesk. Hier fehlt ihm das nötige Wissen und die nötige Erfahrung, schließlich ist er Mediziner und kein Psychologe. Das ihm das Wissen fehlt, kann man ihm nicht vorwerfen. Vorwerfen kann man ihm, dass er geringschätzig über etwas schreibt, was nicht sein Fachgebiet ist.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Verordnung von Antidepressiva. Angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse sollten sie aber nur bei schweren Depressionen verschrieben werden, sie sollten nicht länger als ein halbes bis maximal 1 Jahr eingenommen werden, da mit der Einnahmedauer das Risiko der körperlichen Abhängigkeit stark ansteigt und die im Beipackzettel von SSRI/SNRI empfohlenen Dosen sind zu hoch, weshalb man davon ausgeht, dass diese Medikamente in der Regel überdosiert verschrieben werden (dies wiederum verlängert und erschwert das spätere Reduzieren und Absetzen enorm, da man nur sehr langsam reduzieren sollte, die empfohlene Vorgehensweise, die sich hier bewährt hat ist 10% der jeweiligen vorherigen Dosis alle 4-8 Wochen. Wie lange so ein Entzug dann bei 40mg Paroxetin oder mehr als 100mg Venlafaxin dauern kann, kann man sich leicht ausrechnen, wir sprechen dann von Monaten und Jahren), das zeigt eine Studie zur Rezeptorenbelegung, denn anders als Bschor behauptet sind diese Medikamente schon in kleinen Mengen hochpotent.

Serotonin transporter occupancy of five selective serotonin reuptake inhibitors at different doses: an [11C]DASB positron emission tomography study by Meyer JH1, Wilson AA, Sagrati S, Hussey D, Carella A, Potter WZ, Ginovart N, Spencer EP, Cheok A, Houle S.

Außerdem würde ich mir wünschen, dass Patienten von Ärzten vor Verschreibung eines Antidepressivum ausführlich und verbindlich aufgeklärt werden, anhand eines Aufklärungsbogens (z.B. dem Aufklärungsbogen Antidepressiva des Landesnetzwerks Selbsthilfe seelische Gesundheit e.V. (NetzG-RLP e.V.) ), wie es z.B. vor einer OP oder einem medizinischen Eingriff wie einer Magenspiegelung der Fall ist, der Patient muss per Unterschrift bestätigen, dass er aufgeklärt wurde, der Arzt in gleicher Weise, dass er aufgeklärt hat. Der Patient kann dann frei entscheiden, ob er eine solche Behandlung möchte oder nicht. Damit wäre schon viel gewonnen.

Weitere Informationen:

Titel: »Antidepressiva. Wie man die Medikamente bei der Behandlung von Depressionen richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte: Vom Mitautor der Behandlungsleitlinie für Depressionen«
Autor: Prof. Dr. med. Tom Bschor
Verlag: Südwest Verlag; 2. Edition (12. November 2018)
ISBN 10: 3517097365
ISBN 13: 978-3517097367

Fußnoten
1. Read J et al. Adverse emotional and interpersonal efects reported by 1829 New Zealanders while taking antidepressants. Psychiatry Res. 2014;216:67-73.
2. Read J et al. The interpersonal adverse effects reported by 1008 users of antidepressants; and the incremental impact of polypharmacy. Psychiatry Res. 2017;256:423-27.
3. Read J, Williams J. Adverse efects of antidepressants reported by a large international cohort: Emotional blunting, suicidality, and withdrawal efects. Curr Drug Saf. 2018;13:176-86.
4. Johnson CF et al. Reviewing long-term antidepressants can reduce drug burden: A prospective observational cohort study. Br J Gen Pract. 2012;62e773-9.
5. Mojtabai R, Olfson M. National trends in long-term use of antidepressant medications: Results from the U.S. National Health and Nutrition Examination Survey. J Clin Psychiatry. 2014;75:169-77.
6. Huijbregts KM et al. Long-term and shortterm antidepressant use in general practice: Data from a large cohort in the Netherlands. Psychother Psychosom. 2017;86:362-9.
7. Verhaak PFM et al. What proportion of initially prescribed antidepressants is still being prescribed chronically after 5 years in general practice? A longitudinal cohort analysis. BMJ Open. 2019;9:e024051.
8.
Antidepressiva Forum Deutschland (ADFD), »Infopaket zum Absetzen von Antidepressiva«
9. The Guardian, 3. Mai 2003: Sarah Boseley: »Seroxat maker abondons ‘no addiction’ claim. Firm agrees to alter leaflet to patients after complaints.«
10., 11., 12. »Unglück auf Rezept – Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen« von Peter und Sabine Ansari

»Psychopharmaka reduzieren und absetzen: Ein Leitfaden für Betroffene und Fachkräfte«

Buchcover: Psychopharmaka reduzieren und absetzen: Praxiskonzepte für Fachkräfte, Betroffene, Angehörige

© Antipsychiatrieverlag

Meine Rezension zum Buch »Psychopharmaka reduzieren und absetzen: Praxiskonzepte für Fachkräfte, Betroffene, Angehörige« von Peter Lehmann

»Psychopharmaka reduzieren und absetzen« ist ein Buch für Betroffene, die ihre Psychopharmaka absetzen wollen. Herausgegeben haben es Peter Lehmann und der kritische englische Psychologe Craig Newnes. Peter Lehmann ist hierzulande bekannt. Er ist Verleger und Gründer des Antipsychiatrieverlages und engagiert sich seit Jahrzehnten für eine menschenrechtsbasierte Psychiatrie, in der Patientinnen und Patienten gesetzeskonform über die Risiken, unerwünschte Wirkungen, das Abhängigkeitspotenzial und die geringe therapeutische Wirkung von Antidepressiva und Neuroleptika (»Antipsychotika«) vor Erstverabreichung umfassend aufgeklärt werden.

Er wurde für seinen außerordentlichen wissenschaftlichen und humanitären Beitrag für die Durchsetzung der Rechte Psychiatriebetroffener mit der Ehrendoktorwürde durch die Aristoteles-Universität Thessaloniki und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Es ist auch ein Buch für Fachkräfte (Allgemeinärzte, Psychiater, Pfleger), denen in aller Regel das nötige Wissen fehlt und die entsprechend den unsachgemäßen Herstellerinformationen meist zu schnell reduzieren oder absetzen, was zu schlimmen Entzugssymptomen und Rückfällen führen kann.

Fachkräfte können dieses Wissen gar nicht haben, es sei denn, sie haben es sich in Eigeninitiative selbst angeeignet. Entzugssymptome bei Antidepressiva kommen weder im Medizinstudium noch in der Ausbildung zum Psychiater vor, sagte beispielsweise Dr. Mark Horowitz in einem Interview mit »Mad in America« (kurz MIA), einem unabhängigen psychiatriekritischen Blog.

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Sie kommen auch deshalb nicht in der Ausbildung vor, da Mainstreampsychiater in Einklang mit der Pharmaindustrie in verantwortungsloser Weise rundweg abstreiten, dass Antidepressiva – wie auch Neuroleptika – körperlich abhängig machen können. Dabei ist die Abhängigkeitsproblematik bei diesen Psychopharmaka schon seit ihrer Einführung in den Markt in den 1950er-Jahren bekannt, wie Peter Lehmann in seinem Buchbeitrag “Gibt es eine Abhängigkeit von Antidepressiva und Neuroleptika?” nachweist.

Ein anderes strittiges Thema ist die (behauptete) rückfallverhütende Wirkung von Antidepressiva und Neuroleptika. Um auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu sein, muss man in die USA und nach England schauen, dort ist diese Problematik deutlich länger bekannt. So zeigen Craig Newnes bei Antidepressiva und Robert Whitaker, der Gründer von »Mad in America«, bei Neuroleptika, dass die mittel- und langfristige Einnahme dieser Psychopharmaka eher zur Verstärkung und Chronifizierung der ursprünglichen Probleme führen.

Ein zentrales Thema des Buches ist die Bedeutung einer individualisierten Herangehensweise an den Absetzprozess. All die Co-Autorinnen und -Autoren, die Peter Lehmann und Craig Newnes für dieses Buch gewonnen haben, betonen die Notwendigkeit, den Reduktions- und Absetzprozess basierend auf den spezifischen Bedürfnissen und Umständen jedes Einzelnen zu gestalten. In ihren strukturieren Unterstützungsformen bieten sie – Klinikleiter wie Uwe Gonther und Martin Zinkler oder niedergelassene Psychiater wie Jann Schlimme oder Bryan Shapiro – konkrete Strategien und Werkzeuge zum risikoarmen Absetzen.

Darüber hinaus wird in diesem Buch ein Schwerpunkt auf die psychologischen, sozialen und emotionalen Aspekte des Absetzens von Psychopharmaka gelegt. Die beiden Herausgeber integrieren Erkenntnisse aus der Psychopharmakologie mit einem Verständnis für die individuellen Lebensumstände und Herausforderungen der Betroffenen, was zu einer ganzheitlichen und einfühlsamen Herangehensweise führt. Die Beiträge über Ausschleichstreifen und individuelle, vom Arzt auszustellende Rezepturen schließen eine Lücke im Absetzprozess, die viele Betroffene bisher scheitern ließ.

Mit diesen Methoden können die insbesondere gegen Ende des Absetzprozesses notwendigen immer geringeren Dosierungen hergestellt werden.

Ein weiterer Pluspunkt ist die Betonung der Zusammenarbeit zwischen Fachkräften, Patienten und ihren Angehörigen. Für den Fall, dass Ärztinnen und Ärzte sich weigern, Absetzprozesse zu begleiten, findet sich im Buch ein Artikel über Online-Hilfen (zum Beispiel PsyAb.net).

Das Buch ermutigt dazu, eine unterstützende und informierte Gemeinschaft aufzubauen wie »Mad in America« mit dem weltweiten Mad in the World Network, in dem halb Europa und arme Länder wie Argentinien, Brasilien, Mexico Mitglied sind, nur ein Mad in Germany gibt es nicht und da frage ich mich, warum das so ist?

Als selbst Betroffener und Moderator und Berater in zwei Facebookabsetzgruppen weiß ich, in was für Abgründe schlecht oder gar nicht aufgeklärte Betroffene geraten, wenn sie in die Psychiatrie gelangen. Dann beginnt das, was kaskadenhafte Verordnungen genannt wird (Ich nenne es die »Psychiatrie-Drehtür«): Immer mehr Behandlungen führen zu immer mehr Psychopharmaka, immer häufigeren Wiederaufnahmen, immer höheren Dosierungen, immer größeren Kombinationen; dies öffnet das Tor zur Chronifizierung.

Solange es keine Änderung der Lehrpläne im Medizinstudium und in der Ausbildung zum Psychiater gibt, ist dies DAS Buch, an dem sich Fachkräfte orientieren können. Hoffentlich wird es von vielen gelesen. Und es macht uns Betroffenen Hoffnung und gibt wertvolle Tipps, wie man möglichst sanft reduziert und absetzt: wenn möglich mit Unterstützung des Arztes, der Angehörigen und der Freundinnen und Freunde, notfalls mit Onlinehilfe oder aber ganz alleine – vorsichtig, umsichtig, risikoarm.

Weitere Informationen:

Titel: Psychopharmaka reduzieren und absetzen: Praxiskonzepte für Fachkräfte, Betroffene, Angehörige
Autor: Peter Lehmann
Verlag: Psychiatrie-Verlag; 1. Edition (9. Oktober 2023)
ASIN: B0CMKQ7PTK

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Das bin ich: Blogger, Webdesigner und Künstler. In diesem Blog schreibe ich über meine Erfahrungen mit der Heilkraft der buddhistischen Psychologie und dem Absetzen von Psychopharmaka. Ich gebe wertvolle Tipps und zeige einen erfolgreichen Weg aus der Psychopharmaka-Falle durch das A-B-S-Konzept.