Mein Name ist Markus Hüfner. Ich bin seit mehr als 10 Jahren abhängig von verschiedenen Psychopharmaka, die ich mehrfach versucht habe abzusetzen. Am schwierigsten erweist sich dabei das Absetzen von Paroxetin, ein »SSRI-Antidepressiva«. Ich habe schlimme Erfahrungen sowohl mit der Einnahme als auch dem Absetzen dieses Medikamentes gemacht, wie Tausende andere auch. Dennoch gibt es weder in der Psychiatrie, bei Ärzten und auch in der Öffentlichkeit kein Bewusstsein für diese Problematik. Das möchte ich mit meinem Blog ändern. Hier der Erfahrungsbericht eines Betroffenen.
2009 wurde mir in einer psychiatrischen Tagesklinik aufgrund von Depressionen und Ängsten zum ersten Mal das SSRI-Antidepressivum Paroxetin verordnet. Damals wurde ich von der Oberärztin nicht über die Risiken, Nebenwirkungen und das schon zu diesem Zeitpunkt bekannte hohe Abhängigkeitspotenzial von Paroxetin aufgeklärt. Nach 6 Monaten hatte das Antidepressivum noch immer keine Wirkung gezeigt.
Im Gegenteil: Ich hatte einige Nebenwirkungen, die meine Lebensqualität stark einschränkten. Ich litt unter starkem Libidoverlust, es machte mich praktisch impotent. Die Oberärztin nahm daraufhin eine Medikamentenumstellung von Paroxetin auf das SSRI-Antidepressivum Citalopram vor, innerhalb von einer Woche, ohne Probleme. Da ich das Citalopram nicht vertrug, wechselte ich wieder zurück zum Paroxetin.
2013 wollte ich Paroxetin endgültig absetzen. Ich hatte praktisch kein Sexualleben mehr, obwohl ich öfters verliebt war und daraus auch Beziehungen hätten entstehen können, traute ich mich nicht wegen der Impotenz diese einzugehen. Die Einsamkeit machte mich noch depressiver, als ich es ohnehin schon war.
Ich dachte, das Absetzen des Paroxetins wäre keine große Sache, schließlich hatte ich es schon einmal problemlos umgestellt und nach zwei schlimmen aber erfolgreichen Benzodiazepinentzügen, von denen der erste traumatisch verlief, da er zunächst kalt und dann als reiner Tavorentzug gemacht wurde (beides entspricht nicht den Leitlinien) im Jahre 2011 und 2012 (nach einem Rückfall), dachte ich: »Noch schlimmer als das, kann es nicht werden.«
Mittlerweile weiß ich, schlimmer geht immer. Ich ging vorsichtshalber wieder in die psychiatrische Tagesklinik, da mir so etwas in einem stabilen Umfeld bestimmt leichter fallen würde. Fallen trifft es, ich fiel, in ein tiefes Loch ohne Boden, etwa 3 Tage nachdem das Paroxetin von 60 auf 40 mg reduziert worden war. Heute weiß ich, dass es Wahnsinn ist, Paroxetin in so kurzer Zeit so stark zu reduzieren. Ich hatte extreme Suizidgedanken, Panikattacken und brutale Albträume. Meine Verdauung stellte den Dienst ein, ich bekam starke Magenkrämpfe, Übelkeit, Sodbrennen. Eine extreme innere Unruhe überfiel mich, die ich nicht mehr los wurde, ich hatte Gewaltfantasien und dachte ich würde wahnsinnig werden. Einzig das Umfeld der Tagesklinik hielt mich aufrecht und ich hielt eine Woche durch bis zur nächsten Visite mit der Oberärztin.
Ich berichtete ihr von den schlimmen Symptomen und sagte, dass man das Paroxetin langsamer absetzen müsse, da ich offenbar unter einem SSRI-Absetzsyndrom litt. Sie verharmloste das, ich solle mich nicht so anstellen, das hätte sie noch nie erlebt.
Ich erwiderte: »Nur weil sie dies noch nie erlebt haben, bedeutet das nicht, dass es das nicht gibt. Es steht schließlich im Beipackzettel und das bestimmt nicht ohne Grund. Bitte lesen Sie diesen doch mal.«
Ich fragte mich in diesem Moment, wie viele Ärzte den Beipackzettel eines Medikamentes lesen, das sie ihren Patienten verschreiben?
» Ein hohes Selbstwertgefühl bedeutet nicht, dass man ein besserer Mensch ist, sondern nur, dass man sich für einen besseren Menschen hält «Kristin Neff
Meine Antwort verstand sie offenbar als Beleidigung ihrer Kompetenz, sie fühlte sich in ihrem Selbstwertgefühl angegriffen. Sie erwiderte, dass Antidepressiva nicht abhängig machen würden und ich mir die Symptome nur einbilden würde. Meine Bitte wurde abgelehnt und das Paroxetin wieder auf die Ausgangsdosis erhöht.
Nach zwei Benzodiazepinentzügen mit heftigen Entzugssymptomen über Monate hinweg, denke ich, dass ich weiß, was Entzugssymptome sind und diese von Krankheitssymptomen unterscheiden kann. Zumal eine sofortige Besserung eintrat, als ich wieder auf die Ausgangsdosis zurückging. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ich unter Entzugssymptomen litt und nicht unter rückkehrenden Krankheitssymptomen und ich mir das mit Sicherheit auch nicht bloß eingebildet hatte. Die Oberärztin war anderer Meinung und ließ sich auf keinen weiteren Versuch ein. Ich hätte mir damals mehr Verständnis und Mitgefühl für meine Notlage von ihr gewünscht.
Von 2013 bis 2016 unternahm ich weitere 5 Versuche Paroxetin abzusetzen, alle ohne Erfolg. Der letzte Versuch erfolgte 2017 nach einem Absetzplan eines erfahrenen Psychiaters, dieses Mal in 10mg Schritten, alle 4 Wochen. Ich war bis auf 20 mg Paroxetin runter und es war einigermaßen erträglich, bevor es von den einen auf den anderen Tag so richtig heftig wurde. Ich fühlte mich, als ob mir jemand den Stecker gezogen hatte, nichts ging mehr, ich saß stundenlang in meinem Sessel und starrte die Wand an, während meine Gedanken immer morbider wurden. Ganze 4 Wochen verharrte ich bei 20mg und hoffte, die heftigen Entzugssymptome würden langsam besser werden.
4 Wochen sind eine elend lange Zeit, wenn Du Dir jeden Abend denkst, will ich den nächsten Tag noch erleben, der vermutlich genauso grausam oder noch grausamer wird, wie der zu Ende gehende Tag oder gehst Du gleich zum Bahnhof und wirfst Dich vor den nächsten Zug. Nur 5 Minuten zu Fuss und es ist vorbei. Irgendwann hielt ich es ohne Benzodiazepine nicht mehr aus und schließlich musste ich sie immer öfter nehmen, bis ich wieder bei der Ausgangsdosis von 60mg Paroxetin war, da ich in 10mg Schritten wieder rauf ging und eine zeitlang dort blieb, um zu sehen, ob sich mein Zustand besserte oder nicht. Ich wollte nicht noch zusätzlich erneut benzodiazepinabhängig werden, aber irgendwann war es nicht mehr zu ertragen und ich nahm sie wieder regelmäßig, da ich befürchtete mir ernsthaft etwas anzutun.
Jetzt bin ich wieder benzodiazepinabhängig, zum dritten Mal in meinem Leben und das, weil ich ein Antidepressivum absetzen wollte, ich kann es noch immer nicht fassen. Das Paroxetin nehme ich weiterhin mit 60 mg ein. Ich habe weiterhin kein Sexualleben und bin einsam, obwohl ich mich nach nichts mehr sehne, als nach einer Lebensgefährtin, einer eigenen Familie.
Das Paroxetin hat mich feindselig gemacht, aggressiv, verbittert, hasserfüllt. Ich hatte Gewaltfantasien, die mir eine scheiß Angst machten und ich verspürte den immer stärker werdenden Drang, mich endlich von diesen Qualen zu erlösen.
Ich war nicht mehr ich selbst. Durch diese heftige Persönlichkeitsveränderung habe ich meine drei besten Freunde verloren. Es ist grausam in dem Bewusstsein zu leben, eine aggressive, verbitterte und potenziell gewalttätige Person zu sein, zu glauben, dass das, was Du denkst und fühlst, Du bist, so bist Du. Ich wusste ja nicht, dass die Medikamente meine Persönlichkeit dermaßen stark verändert hatten und ich gar nichts dafür konnte. Nachdem ich wieder bei der Ausgangsdosis von 60mg Paroxetin angekommen war, verschwanden die Entzugssymptome, bis auf die Magen-Darm-Krämpfe. Heute weiß ich, dass ich das nicht bin und nie wahr, sondern die Medikamente mich dazu gemacht haben. Leider haben meine Freunde das nicht geglaubt, so sehr ich sie auch durch Briefe und Fachliteratur davon zu überzeugen zu versuchte.
Mein späterer neuer Psychiater erklärte mir, dass sich ein Antidepressivaentzug auch verzögert einstellen kann, erst nach Monaten. Daher ist es wichtig, in sehr kleinen Schritten abzudosieren. 10% der Ausgangsdosis für mindestens 4 Wochen besser sind 6-8 Wochen und dann wieder 10% von der aktuellen Dosis. Nicht selten zieht sich solch ein Entzug über mehrere Jahre hin und manche schaffen es gar nicht. Nach 8 gescheiterten Versuchen gebe ich nicht auf, ich will mein Leben zurück, dass mir dieses Antidepressivum seit fast 10 Jahren stiehlt.
Ich lese gerade das Buch Überleben des weltbekannten Bergsteigers Reinhold Messner. Ein Psychopharmakaentzug kann zu den schlimmsten Erfahrungen gehören, die ein Mensch machen muss. Wenn ich einem Außenstehenden das klar machen möchte, dann vergleiche ich es gerne mit dem besteigen des Mount Everests, ohne jede Klettererfahrung, ohne Bergführer und ohne Sauerstoff. Ich war zwei Mal da oben und habe es auch wieder lebend runter geschafft. Jetzt muss ich noch 3 mal da rauf, ein Neuroleptikum muss ich nämlich auch noch absetzen.
Seit Januar 2019 ist es mir durch eine neue Behandlung bei einem Facharzt für Orthomolekularmedizin gelungen das Paroxetin von 60 auf 40 mg zu reduzieren. Der Arzt hat einen Neurostress-Test gemacht und weitere spezielle Laboruntersuchungen und ein sogenanntes »Serotonin-Defizit-Syndrom« diagnostiziert. Hauptursache für ein Serotonin-Defizit-Snydrom ist die Langzeiteinnahme von SSRI/SNRI-Antidepressiva, die bei einer Einnahme länger als ein halbes Jahr den Serotoninspiegel im Körper stark reduzieren. Was kaum bekannt ist: Das meiste Serotonin wird nämlich im Darm produziert (über 95%!) und dieser Spiegel lässt sich anders als der Spiegel im Gehirn durch eine einfache Blut- oder Urinuntersuchung bestimmen. Mein Serotoninspiegel im Körper war kaum noch messbar. Durch das extreme Serotonin-Defizit erklären sich auch sämtliche körperlichen und psychischen Symptome, denn die biologischen Funktionen von Serotonin im menschlichen Körper und Gehirn sind umfangreich. Serotonin ist für uns Menschen so wichtig wie Benzin für ein Auto mit Verbrennungsmotor. Ohne Benzin läuft nicht mal ein voll funktionsfähiger Neuwagen, er springt nicht mal an. Serotonin ist einer der wichtigsten Treibstoffe für den Menschen.
Sollte mir der Entzug des Paroxetin, der sehr qualvoll ist gelingen, erfolgt danach der Entzug des Neuroleptikum und zum Schluss der dritte Benzodiazepinentzug in meinem Leben. Eine andere Vorgehensweise ist nicht ratsam, da das Benzodiazepin viele der psychischen Entzugssymptome des Antidepressiva-Entzuges dämpft und es so schon kaum zu ertragen ist.
Ich weiß nicht, woher ich die Kraft dafür noch nehmen soll und ob ich das überleben werde. Bisher bin ich ein Überlebender. Überleben hat mit Leben nichts zu tun. Winston Churchill sagte mal
wenn Du durch die Hölle gehst, dann geh weiter.
Ich gehe durch die Hölle, jeden Tag und habe noch keinen Ausgang gefunden, also gehe ich weiter und suche danach, das ist überleben!
Viele werden jetzt den Kopf schütteln, nachdem sie diesen Erfahrungsbericht gelesen haben und denken:
Was redet der da für einen Blödsinn. Diese Medikamente machen nicht abhängig und verändern die Persönlichkeit nicht. Außerdem haben sie weniger Nebenwirkungen, wie alte Antidepressiva. Sie beseitigen ein Ungleichgewicht an Botenstoffen im Gehirn, das als die Hauptursache für Depressionen gilt und verhindern Suizide, das weiß doch jeder.
Woher wissen wir das oder glauben es zu wissen? Es sind die allgemein anerkannten und seit Jahrzehnten von der Psychiatrie und Pharmaindustrie propagierten Thesen. Leider gibt es für diese Thesen bis heute keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis, aber einige, die diese Thesen widerlegen.
Warum schenken die meisten Ärzte und Psychiater den Aussagen ihrer Patienten über die praktischen Erfahrungen mit diesen Medikamenten weniger Glaubwürdigkeit als den Aussagen der Pharmaindustrie?
Diese Frage habe ich mir nach meinen schlimmen Erfahrungen gestellt und ich habe nach Antworten gesucht. Dabei bin ich auf Fakten und Studien gestoßen, die diese Thesen widerlegen und ich bin auf die unheilvolle Allianz von Pharmaindustrie und Psychiatrie gestoßen, denen es nicht um das Wohl von Patienten geht, sondern auf der einen Seite um größere Absatzmärkte durch die rasant zunehmende Pathologisierung von normalen Gemütszuständen zu schaffen (Industrie) und auf der anderen Seite um Macht, Einfluss, Ruhm und Prestige (Psychiatrie).
Erstmals hat nun auch die DGSP (Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie) ein wichtiges Positionspapier Annahmen und Fakten: Antidepressiva publiziert, in dem sie den allgemein anerkannten Annahmen bzgl. Antidepressiva die wissenschaftlichen Fakten gegenüberstellt. Daraus resultierend hat die DGSP ein weiteres Papier publiziert, dass die Gesundheitspolitik, Krankenkassen, andere Leistungsträger und deren Fachverbände zu einem Umdenken bzgl. Wirksamkeit, Risiken, Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotenzial von Antidepressiva auffordert.
Ich möchte mit meinem Projekt Raus aus der Psychopharmaka-Falle.de auf diese Problematik aufmerksam machen und würde mir wünschen, dass es ernster genommen wird, von Ärzten, Psychiatrien, Universitäten und auch von der Gesellschaft, denn wir sind nicht nur ein paar wenige Betroffene sondern sehr viele. Am meisten fassungslos macht mich, das die beiden großen Selbsthilfe-Organisationen für Menschen mit Depressionen (»Stiftung Deutsche Depressionshilfe«Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Deutsche DepressionsLiga e. V.Deutsche Depressionsliga auch bekannt als Bündnis gegen Depression) deren Aufgabe dies wäre, es nicht tun, obwohl sie für sich in Anspruch nehmen die Interessen ALLER Menschen mit Depressionen gegenüber Politik und in der Öffentlichkeit zu vertreten, zwar Antidepressiva uneingeschränkt als nicht abhängig machend, die Persönlichkeit nicht verändernd und nebenwirkungsarm empfehlen und damit an sämtlichen anerkannten Annahmen, wie im Papier der DGSP erwähnt festhalten.
Auch das Papier der DGSP wird von beiden Organisationen vollkommen ignoriert. Sie klären auf ihren Websites und in ihren Broschüren nicht über die Risiken und Nebenwirkungen auf. Leisten diese beiden einflussreichen Organisationen tatsächlich Aufklärungsarbeit, wenn sie Betroffenen diese wichtigen Fakten vorenthalten? Wenn sie diejenigen, die schlimme Erfahrungen mit der Einnahme und/oder dem Absetzen dieser Medikamente gemacht haben und noch immer machen ignorieren und deren Leid leugnen?
Aloha