Heute war ich bei meinem Psychiater, ich muss da ein Mal im Jahr hin, damit ich weiter meine Medikamente bekomme. Ich dachte, ich zeige mal, wie so ein Gespräch typischerweise verläuft und warum Psychiater so beratungsresistent sind und ihre eigenen Überzeugungen und Erfahrungen sowie die Versprechungen der Pharmaindustrie nicht hinterfragen. Die Ursache ist eine einseitige Wahrnehmung aufgrund von einseitigen Erfahrungen mit Patienten und das Phänomen der kognitiven Dissonanzreduktion.
Dialog mit meinem Psychiater
Arzt: Wie läuft es bei Ihnen?
Ich: Sehr schlecht, der Entzug des Paroxetins (»SSRI-Antidepressivum«) ist extrem schlimm, habe starke Schmerzen im Darm und zahlreiche andere Symptome.
Arzt: Warum wollen Sie das Paroxetin eigentlich absetzen?
Ich: Weil es keine Wirkung hat und meinen Serotoninspiegel im Körper stark gesenkt hat, daher kommen auch die Schmerzen im Darm. Der Serotoninspiegel im Körper wurde gemessen, durch eine Labordiagnostik im Urin.
Arzt: Aber wie wollen Sie das messen, man kann den Serotoninspiegel doch gar nicht bestimmen. Woher wollen Sie wissen, das sie im Gehirn zu wenig Serotonin haben?
Ich: Erlauben Sie mir die Frage: Wieso bekomme ich dann ein Medikament, das angeblich den Serotoninspiegel im Gehirn ausgleicht, wenn man gar nicht messen kann, ob überhaupt ein Ungleichgewicht vorhanden ist? Ich sagte auch, dass der Serotoninspiegel im Körper gemessen wurde, das ist möglich und das meiste Serotonin wird im Darm produziert, über 95%, im Gehirn nur 5%, das Serotonin ist im Darm für dessen Beweglichkeit zuständig und die Verdauung. Deshalb habe ich auch die Schmerzen. Es gibt Studien, die zeigen, dass insbesondere die SSRI bei Langzeiteinnahme den Serotoninspiegel im Körper stark senken und das dies zu zahlreichen physischen und psychischen Symptomen führt, einem sogenannten »Serotonin-Defizit-Syndrom«.
Arzt: Ich hatte noch keinen Patienten, der Probleme beim Absetzen eines SSRI hatte, höchstens mal bei Venlafaxin.
Ich: Darf ich fragen, wie lange diese Patienten ihr SSRI eingenommen haben?
Arzt: So ungefähr ein halbes Jahr.
Ich: Ich verstehe, dann ist es kein Wunder, dass Sie noch keine Erfahrungen mit Patienten gemacht haben, die große Probleme haben ein SSRI abzusetzen. Nach einem Jahr ist das meistens noch problemlos möglich. Ich nehme das Paroxetin aber schon 11 Jahre ein. Hier ist ein Artikel aus der Fachzeitschrift Neurotransmitter Ihres Berufsverbandes der deutschen Nervenärzte über eine Studie über Antidepressivaentzugssymptome. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Absetzsymptome bei Antidepressiva in ihrer Häufigkeit, Dauer und Schwere bisher stark unterschätzt würden. Ich lasse Ihnen das mal da und würde Sie bitten, es zu lesen (er überfliegt es kurz). Ich bin jetzt Mitglied in der DGSP (Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie), der Beitrag ist von einem Mitglied des Psychopharmakaausschusses der DGSP und das hier ist das Positionspapier der DGSP Annahmen und Fakten: Antidepressiva (auch das ignoriert er).
Arzt: Die Zeitschrift habe ich zuhause, Sie können das wieder mitnehmen.
Danach war mir klar, dass es keinen Sinn macht, weiter zu diskutieren, er stellte mir mein Rezept aus und ich ging.
Mögliche Erklärung:
Psychiater sind so sehr von den Versprechungen der Pharmaindustrie überzeugt und sehen sich durch die Erfahrungen, die sie mit ihren Patienten machen darin bestätigt, dass sie diese nur selten infrage stellen.
Das Problem ist hier eine einseitige Wahrnehmung: Mein Psychiater hat in der Regel nur Patienten, die ihr Antidepressivum nicht länger als ein Jahr einnehmen und dieses dann auch fast immer ohne Probleme absetzen können. Durch diese einseitige Wahrnehmung schließt er daraus, dass es auch bei allen anderen Patienten, die ein Antidepressivum länger als ein halbes Jahr einnehmen, generell keine Probleme beim Absetzen von Antidepressiva gibt.
Er weiß es nicht besser, aber er will es auch nicht besser wissen, das zeigte sich daran, dass er die Unterlagen, die ich ihm zum lesen gab, zurückgewiesen hat und das werfe ich den Ärzten und Psychiatern vor. Ich bin mir sicher, dass er den Artikel nicht lesen wird, selbst wenn er die Zeitschrift tatsächlich zuhause haben sollte, denn es stellt seine Überzeugungen infrage und das führt zu heftigen kognitiven Dissonanzen in Form von starken unangenehmen Gefühlen.
Unsere Überzeugungen sind unser Weltbild. Wichtig zu verstehen ist, dass dieses Weltbild unsere Identität bildet und es gibt so eine Art Wächter in unserem Gehirn, der diese Identität um jeden Preis schützt, denn ohne eigene Identität sind wir nichts, unbedeutend, wir hätten keine eigenständige Persönlichkeit.
Das macht es so schwer unsere eigenen Überzeugungen zu hinterfragen. Der Philosoph Friedrich Nietzsche sagte mal:
Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.
Ich stimme ihm da zu. Wir glauben unseren Überzeugungen (glauben bedeutet, von etwas überzeugt zu sein, ohne einen empirischen Beweis dafür zu haben.). Wir glauben, sie sind die Wahrheit. Während wenn wir lügen, wir wissen, dass wir lügen, wir kennen die Wahrheit, erzählen sie aber nicht, aus unterschiedlichen Gründen. Die Philosophin Hanna Arendt hat ein Essay über Wahrheit und Politik verfasst, in dem sie zwischen Lügner und Verlogenem unterscheidet. Sie schreibt:
Nur im Lügner bleibt die Wahrheit erhalten, denn ein Lügner kennt die Wahrheit, während ein Verlogener so oft gelogen hat, dass die Lüge für ihn zur Wahrheit wurde. Er kennt die Wahrheit nicht mehr, in ihm ist die Wahrheit verloren gegangen.
Falls sich jemand für das Phänomen der kognitiven Dissonanzreduktion interessiert, mit der Menschen alles leugnen können, was nicht in ihr Weltbild passt: Ich habe dazu einen Beitrag publiziert auf meinem achtsam-sein-Blog. Ich zeige darin auch einen Weg, die eigenen kognitiven Dissonanzen zu erkennen und so falsche Überzeugungen zu ändern.
Kognitive Dissonanz: Wenn die Realität mit unserem Weltbild kollidiert
Studie: Psychiater haben mehrheitlich kein Vertrauen in Antidepressiva
Bemerkenswert ist, dass selbst die Psychiater und Ärzte, die Antidepressiva verschreiben, kaum Vertrauen in diese haben, das zeigt eine Studie.
Laut einer Studie von Mendel und Kollegen aus dem Jahr 2010 würden nur 40% aller Psychiater Antidepressiva selbst einnehmen, die sie leichtfertig und oft ohne auf deren Risiken und Nebenwirkungen hinzuweisen ihren Patienten verordnen. Das bedeutet, dass die Mehrzahl der Psychiater Antidepressiva zur Behandlung empfehlen, von denen Sie selbst nicht überzeugt sind, dass diese ihren Patienten helfen und nicht schaden werden und das die meisten Psychiater*innen auf die Frage von ihren Patienten Was würden Sie an meiner Stelle tun?
, diese anlügen, das zeigt die folgende Grafik (linkes Diagramm):
- 1. Säule zeigt, die reguläre Empfehlung, die sie einem Patienten geben würden, wenn sie der behandelnde Arzt wären. (regular recommendation role)
- 2. Säule zeigt, was Psychiater ihren Patienten empfehlen würden, wenn diese sie fragen würden, was sie an ihrer Stelle tun würden. (what-would-you-do role)
- 3. Säule zeigt, was sie selbst tun würden, wenn sie Depressionen hätten. (self-role)
Bei den Antipsychotika (rechtes Diagramm) ist das Vertrauen mit unter 20% noch geringer.
Aloha