»Buchcover Antidepressiva: Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte: Vom Mitautor der Behandlungsleitlinie für Depression« Prof. Dr. med. Tom Bschor© Südwest Verlag

Nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Antidepressiva können körperlich abhängig machen.

Lesedauer: 9 Minuten

Rezension zum Buch Antidepressiva. Wie man die Medikamente bei der Behandlung von Depressionen richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte: Vom Mitautor der Behandlungsleitlinie für Depressionen von Prof. Dr. med. Tom Bschor. Das Buch ist leider nicht auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand, da es die zwei wichtigsten Übersichtsstudien nicht enthält. Eine davon zeigt, dass Antidepressiva insgesamt NICHT besser wirken als ein »Placebo«, die andere zeigt, dass Antidepressiva körperlich abhängig machen und Antidepressivaentzugssymptome bisher in ihrer Häufigkeit, Dauer und Schwere unterschätzt wurden.

Wirksamkeit von Antidepressiva

Im Buch schreibt Bschor über die Wirksamkeit von Antidepressiva:

Bei Studien hingegen, die mit schwer depressiven Patienten (um die 30 Punkte auf der Hamilton-Depressionsskala zum Studienbeginn) durchgeführt worden waren, zeigten die Antidepressiva einen besseren Effekt als Placebo: Am Ende der Behandlung hatten die Patienten aus der Antidepressiva-Gruppe eine Depressionsschwere, die um drei (oder mehr) Hamilton-Punkte geringer war als bei den Patienten der Placebo-Gruppe. (Seite 136)

Zu den Argumenten, die für eine Antidepressivabehandlung sprechen, gehört, dass die Zusammenschau der verfügbaren kontrollierten Studien (RCTs) gezeigt hat, dass alle Antidepressiva wirksamer gegen Depressionen sind als ein Scheinmedikament. Das gilt zwar nicht für jede einzelne Studie, aber für die Gesamtauswertung aller Studien, wie zuletzt die umfassende Metaanalyse von Cipriani und seinen Kollegen zeigte. (Seite 141)

Neue Übersichtsstudie (2018)

Eine neue Übersichtsstudie aus dem Jahr 2018 des unabhängigen Nordic Cochrane Centre bestätigt die Ergebnisse von Irving Kirsch. Es wurden 522 klinische Untersuchungen mit 116.477 Teilnehmern ausgewertet. Das Ergebnis fasst der Leiter der Studie, Dr. Klaus Munkholm, folgendermaßen zusammen:

Was wir herausgefunden haben ist folgendes: Die Wirkung von Antidepressiva und Placebo unterscheidet sich nur um 1,97 Punkte auf einer Skala von 52 Punkten. Dieser Unterschied ist minimal.

Eine Verbesserung um nur 1,97 Punkte auf der »Hamilton-Skala« ist eine so minimale Verbesserung der Depression, dass sie von einem Arzt nicht festgestellt werden kann.

Considering the methodological limitations in the evidence base of antidepressants for depression: a reanalysis of a network meta-analysis (englisch)

Beitrag Schweizer Fernsehen: Antidepressiva nicht besser als Placebo von depression-heute.de zur Übersichtsstudie des Nordic Cochrane Centre (deutsch)

Abhängigkeitspotenzial von Antidepressiva

Bzgl. dem Absetzen von Antidepressiva, Entzugssymptomen und Abhängigkeitspotenzial schreibt Bschor folgendes:

Das trägt dazu bei, dass leider nicht genau geklärt ist, wie viel Prozent der Patienten nach dem Ende einer Antidepressivamedikation derartige Entzugssymptome entwickeln. Die Schätzungen gehen von bis zu einem Drittel aus. (Seite 113)

Wie auch die Entzugssymptome bei der Alkoholkrankheit sollten die Entzugserscheinungen von Antidepressiva nur wenige Tage bis drei Wochen anhalten. (Seite 113)

Die beste Vorbeugung vor Entzugssymptomen ist, das Antidepressivum möglichst langsam auszuschleichen, das heißt Schritt für Schritt die Dosierung zu reduzieren. Für die meisten Menschen sollte ein Zeitraum von vier bis sechs Wochen genügen. (Seite 114)

Es ist mittlerweile unstrittig, dass bei bis zu einem Drittel aller Patienten Entzugssymptome auftreten, wenn sie nach längerer Dauer die Antidepressiva-Einnahme beenden. Meistens sind die Entzugssymptome von kurzer Dauer und eher harmlos, es ist aber wichtig, dass die Patienten von ihren Ärzten hierüber aufgeklärt werden, damit sie die Erscheinungen verstehen und einordnen können. (Seite 114)

Eine Abhängigkeit definiert sich allerdings nicht ausschließlich über das Auftreten von Entzugssymptomen. Vielmehr führen Suchtstoffe zu weiteren typischen Zeichen einer Abhängigkeit. Es müssen mehrere, wenngleich nicht alle, dieser Zeichen vorliegen, damit eine Sucht diagnostiziert werden kann. (Seite 115)

Bei Antidepressiva gibt es neben den Entzugssymptomen mitunter erhebliche Schwierigkeiten, die Einnahme wieder zu beenden, worauf wir gleich im Detail eingehen. Die anderen Abhängigkeitszeichen lassen sich allerdings in der Regel nicht beobachten. (Seite 115)

Es ist also unstrittig, dass Antidepressiva Entzugssymptome verursachen können. Von einer Abhängigkeit, wie sie klassische Suchtstoffe wie Benzodiazepine (Beruhigungsmittel) erzeugen, kann aber nicht gesprochen werden. (Seite 116)

Antidepressiva machen nicht in der gleichen Art abhängig wie Schlaf- oder Beruhigungsmittel. (Seite 151)

Bemerkenswert in der letzten zitierten Aussage von Bschor ist die Formulierung Antidepressiva machen nicht in der gleichen Art abhängig, er schließt damit nicht aus, dass Antidepressiva auf eine andere Art abhängig machen können.

Neue Übersichtsstudie Antidepressivaentzugssymptome (2018)

Die zweite Übersichtsstudie betrifft Antidepressivaentzugssymptome. Sie ist von Dr. James Davies von der University Roehampton, London und Professor John Read von der University East London aus dem Jahr 2018.

Sie zeigt, dass die Häufigkeit, Dauer und Schwere von Antidepressivaentzugssymptomen bisher deutlich unterschätzt wurde und die bisherigen Behandlungsleitlinien nicht ausreichend sind.

A systematic review into the incidence, severity and duration of antidepressant withdrawal effects: Are guidelines evidence-based?

Wichtigste Ergebnisse in der Übersicht

  • Bei durchschnittlich 56% der Patienten traten beim Reduzieren und Absetzen von Antidepressiva Entzugssymptome auf (nicht wie von Bschor geschätzt nur bei 1/3 aller Patienten),[1]
  • bei 46% der Patienten waren diese schwerwiegend.[2]
  • Je länger die Einnahme dauert, desto wahrscheinlicher treten Entzugssymptome auf.[3]
  • Die Zahl der Langzeiteinnahmen steigt. Etwa 50% der Betroffenen nahmen Antidepressiva mindestens 2 Jahre lang ein.[4, 5, 6, 7]
  • Entzugserscheinungen können Wochen, Monate, schlimmstenfalls sogar Jahre anhalten (nicht wie von Bschor behauptet nur wenige Tage bis 3 Wochen).
  • 30% aller Befragten konnten auf unbestimmte Zeit ihrer Arbeit wegen der Entzugserscheinungen nicht mehr nachgehen.
  • Mehrere Patientenerhebungen zeigten wenig ärztliche Unterstützung trotz häufiger schwerer Entzugssymptome.
  • Die Behandlungsleitlinien in den USA und England sind nicht ausreichend und müssen überarbeitet werden. Das gilt auch für die deutschen Behandlungsleitlinien.

Diese Übersichtsstudie wurde auch in der Ausgabe 12/2019 der Fachzeitschrift »NeuroTransmitter« des BVDN (Berufsverband deutscher Nervenärzte) in dem Artikel Absetzen von Antidepressiva und Neuroleptika: Überfällige ärztliche Hilfen von Peter Lehmann und Markus Kaufmann veröffentlicht. Die vollständige Ausgabe kann auf der Website des BVDN kostenlos als PDF-Dokument heruntergeladen werden:

Die komplette Ausgabe des NeuroTransmitters 12/2019 gibt es hier als PDF (Beitrag ab Seite 18)

Die DGSP (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie) hat kürzlich ein wichtiges Positionspapier veröffentlicht, in dem die Annahmen über Antidepressiva den wissenschaftlichen Fakten gegenübergestellt werden. Als Ergebnis hat der Vorstand der DGSP dazu ein Papier erstellt, in dem ein Umdenken über die Behandlung mit Antidepressiva gefordert wird. Die Forderungen richten sich an die Gesundheitspolitik, Krankenkassen, Leistungsträger und deren Fachverbände.

Darin heißt es zum Thema Abhängigkeit:

Wir wollen den alten Streit um die Begriffe Abhängigkeit und Entzug nicht weiter verfolgen. Es ist eindeutig, dass die Patienten körperliche Entzugserscheinungen beim Absetzen der Medikamente erleiden können. Hauptstreitpunkt der Debatte ist das nicht vorhandene drogensuchende Verhalten bei Nutzern von Antidepressiva. Ob dies eine Rechtfertigung für den Nichtgebrauch des Wortes Abhängigkeit darstellt, darf bezweifelt werden.

Beide Dokumente können als PDF-Datei auf der Website der DGSP kostenlos heruntergeladen werden:

Dokumente herunterladen und lesen

Zur Definition des Begriffs »Abhängigkeit« und welche Kriterien dafür erfüllt sein müssen, um von einer körperlichen Abhängigkeit bzw. einer Sucht zu sprechen, muss man das Folgende wissen:

Das SSRI-Absetzsyndrom

2003 berief die Regierung in Großbritannien aufgrund immer offensichtlicher werdender Beweise für das Abhängigkeitspotenzial von »SSRI-Antidepressiva« eine Sonderkommission ein. Daraufhin musste der britische Pharmariese GlaxoSmithKline (GSK), Hersteller von Seroxat (Paroxetin), eine Änderung der Gebrauchsinformationen vornehmen, die auf ein Abhängigkeitspotenzial des Medikaments hinweist und eine etwa 25-prozentige Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Absetzsymptomen einräumt.[8]

Daraufhin finanzierten betroffene Pharmafirmen eine vertrauliche Experten-Konferenz und beschlossen, Entzugserscheinungen in »Absetzsyndrom« umzubenennen, um negative Assoziationen zu vermeiden.[9]

Seit dem bildet das SSRI-Absetzsyndrom eine eigenständige Diagnose im Klassifikationshandbuch der Medizin.[10]

Neue Definition des Suchtbegriffs

Das Universitäten und Ärzte ein Abhängigkeitspotenzial bei SSRI-Antidepressiva leugnen liegt auch daran, dass die Pharmahersteller sich bereits in den 80er Jahren im Zuge der Zulassung des ersten SSRI-Antidepressivums Prozac (Fluoxetin), vorsichtshalber entschlossen, die Definition des medizinischen Begriffes für Sucht anzupassen. Zuvor galt: Wenn es körperliche Entzugserscheinungen gibt, besteht eine Abhängigkeit. Seit 1987 müssen mehrere Faktoren gleichzeitig erfüllt sein, damit ein Patient als abhängig gilt, eine reine körperliche Abhängigkeit reicht nicht mehr aus, um ein Medikament als suchterzeugend gilt, so muss der Patient u. a. regelmäßig nach höheren Dosen verlangen und zusätzliche Gesundheitsgefährdungen vorliegen.[11]

Warum diese beiden aktuellen und wichtigen Studien nicht im Buch von Bschor enthalten sind, lässt sich höchstens dadurch begründen, dass das Buch ebenfalls im Jahr 2018 publiziert wurde und diese nicht mehr in das Buch mit einfließen konnten. Dann würde ich mir wünschen, dass es eine 2. Auflage des Buches gibt, die diese wichtigen Studien berücksichtigt.

Psychotherapie vs. Antidepressiva

Besonders grotesk und unverständlich ist der Vergleich der Vor- und Nachteile der Behandlung einer Depression mit Antidepressiva vs. Psychotherapie.. Hier merkt man deutlich, dass ein Psychiater und Schulmediziner und eben kein Psychologe über Psychotherapie schreibt, denn davon hat er offensichtlich keine Ahnung. Bschor schreibt:

Leider ist auch eine psychotherapeutische Behandlung nicht ohne Probleme. Im Vergleich zu medikamentösen Therapien ist Psychotherapie sehr viel zeitaufwendiger. Nicht jeder Patient kann problemlos wöchentliche Psychotherapie-Termine in seinen Alltag integrieren. Das Problem wird verschärft, wenn lange Anfahrtswege erforderlich sind. Einzeltherapie ist teuer, da ein hoch spezialisierter Therapeut für jeweils eine Stunde bezahlt werden muss. Wird die Psychotherapie von der Krankenkasse übernommen, fallen diese Kosten zwar nicht für den Patienten an, wohl aber für die Gemeinschaft der Versicherten. Die meisten Antidepressiva sind sehr preiswert, da der Patentschutz ausgelaufen ist. (S. 168)

Peter Ansari, Autor des Buches Unglück auf Rezept – die Antidepressivalüge und ihre Folgen schreibt auf seiner Website depression-heute.de in seiner Rezension zum Buch von Bschor dazu treffend:

Mit anderen Worten: Bevor man Patienten zu einer möglichst langfristigen Gesundheit, mit möglichst wenigen Rückfällen verhilft, sollte man doch lieber auf die Kosten schauen. Das Ethos hinter dieser Argumentation verblüfft. Zuerst glaubt man, man hätte sich verlesen, doch etwas später erklärt er: Ein Vorteil einer Antidepressivabehandlung ist die unkomplizierte und nahezu unbegrenzte Verfügbarkeit der Medikamente. Antidepressiva können über ein dichtes Apothekennetz bezogen und in nahezu jeder Menge produziert werden. (S. 169)

Demnach muss gar nicht jeder einzelne Patienten so gut wie möglich behandelt werden, sondern es reicht, wenn möglichst viele Patienten irgendwie behandelt oder versorgt werden,

so Ansari. Die vollständige Rezension kann hier gelesen werden:

Rezension: Bschor – Antidepressiva

Bschor schreibt u.a. über die Akzeptanz- und Commitment-Theapie (ACT):

Zur Depressionsbehandlung werden weitere Psychotherapieformen eingesetzt, die alle nicht von den deutschen gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Eine spezifische Weiterentwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie ist die sogenannte Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT), die hilft, psychische Symptome mehr zu akzeptieren und besser mit ihnen umzugehen (Commitment bedeutet Eingeständnis). ACT ist keine spezifische Depressionstherapie. (Seite 167)

ACT gehört in den USA, Australien und vielen anderen Ländern zu den Standard-Verhaltenstherapien bei Depressionen. In zahlreichen Studien wurde ihre Wirksamkeit in der Depressionsbehandlung nachgewiesen, da man mit ihr sehr schnell große Erfolge erzielen kann. ACT wird von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland im Rahmen einer Verhaltenstherapie bezahlt. (ich selbst mache eine solche Therapie bei einem von der gesetzlichen Krankenkasse zugelassenen Psychotherapeuten).

Ebenfalls als sehr erfolgreich nicht nur zur Rückfallprävention von Depressionen hat sich die von Bschor erwähnte MBCT erwiesen, weshalb in Großbritannien laut Behandlungsleitlinie MBCT bei leichten und mittelschweren Depressionen angewandt werden soll, dort dürfen Antidepressiva nur noch bei schweren Depressionen eingesetzt werden. Die deutsche Behandlungsleitlinie ist dagegen sehr schwammig formuliert, hier bleibt es dem Arzt überlassen, bei welchem Schweregrad er Antidepressiva verschreibt, es wird lediglich eine Empfehlung ausgesprochen.

Gar nicht erwähnt werden von Bschor weitere erfolgreiche Therapien zur Depressionsbehandlung wie CFT, MSC (Mindful Self-Compassion) oder EMDR (eine spezielle Traumatherapie).

Gedankenspiel Antidepressiva: Talisman oder Hochseilakt?

Auf Seite 143 lädt Bschor den Leser zu einem Gedankenspiel ein, um zu verdeutlichen, dass eine Behandlung mit Antidepressiva kaum Risiken birgt:

Angenommen, die Wissenschaft hätte herausgefunden, dass fünf Prozent aller depressiv Erkrankten eine Heilung durch das Tragen eines Talismans erreichen (Abbildung 16a, siehe unten). Man könnte einerseits das 95-prozentige Risiko, dass die Therapie scheitert, als viel zu hoch kritisieren. Man könnte jedoch andererseits auch fordern, dass jeder depressive Mensch dieses vollkommen harmlose und unschädliche Ritual probieren sollte, falls er zu den glücklichen fünf Prozent gehört. Treiben wir das Gedankenspiel noch etwas weiter: Vermutlich würde man sich gegen eine Depressionstherapie trotz einer 90-prozentigen Heilungschance entscheiden, wenn die Therapie darin bestünde, dass man eine Straßenschlucht ohne Hilfsmittel auf einem zwischen den Häusergiebeln gespannten Seil überqueren müsste (Abbildung 16b). Wie sind in dieser Hinsicht die Antidepressiva einzuschätzen: eher wie die Talisman-Therapie oder eher wie die Hochseil-Behandlung?

Da es sich bei Antidepressiva eher um schwach wirksame Medikamente handelt, ist mit Blick auf ihre Wirksamkeit der Talisman-Vergleich zutreffender.

Angesichts der Übersichtsstudie über Antidepressivaentzugssymptome, die bei durchschnittlich 56% der Patienten auftraten und bei 46% schwerwiegend waren und der geringen pharmakologischen Wirksamkeit dieser Medikamente, die in der Übersichtsstudie des Nordic Cochrane Centre bestätigt wurde, möchte man doch eher sagen, dass es einem Hochseilakt gleichkommen kann.

Fazit: Das Buch hinterlässt bei mir einen ambivalenten Eindruck. Im ersten Teil des Buches ist Bschor durchaus kritisch, was die Behandlung mit Antidepressiva angeht, ihre geringe Wirksamkeit wird betont, Risiken und Nebenwirkungen werden genannt, Studienverfahren angezweifelt. Das alles ist eine bemerkenswerte Offenbarung für einen Mitautoren der Behandlungsleitlinie. Bedenklich ist, dass sich seit den 1950er Jahren laut Bschor in der Pharmakologie und den Verfahrensweisen in der Psychiatrie kaum etwas verändert hat. Das ist ein Offenbarungseid der Psychiatrie und eines Mitautoren der Behandlungsleitlinie.

Im zweiten Teil relativiert Bschor seine Aussagen zum großen Teil wieder und spricht sich bei der Frage, ob man eine Depression mit Antidepressiva oder eher mit Psychotherapie behandeln sollte deutlich pro Antidepressiva aus, wie er das begründet ist grotesk. Hier fehlt ihm das nötige Wissen und die nötige Erfahrung, schließlich ist er Mediziner und kein Psychologe. Das ihm das Wissen fehlt, kann man ihm nicht vorwerfen. Vorwerfen kann man ihm, dass er geringschätzig über etwas schreibt, was nicht sein Fachgebiet ist.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Verordnung von Antidepressiva. Angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse sollten sie aber nur bei schweren Depressionen verschrieben werden, sie sollten nicht länger als ein halbes bis maximal 1 Jahr eingenommen werden, da mit der Einnahmedauer das Risiko der körperlichen Abhängigkeit stark ansteigt und die im Beipackzettel von SSRI/SNRI empfohlenen Dosen sind zu hoch, weshalb man davon ausgeht, dass diese Medikamente in der Regel überdosiert verschrieben werden (dies wiederum verlängert und erschwert das spätere Reduzieren und Absetzen enorm, da man nur sehr langsam reduzieren sollte, die empfohlene Vorgehensweise, die sich hier bewährt hat ist 10% der jeweiligen vorherigen Dosis alle 4-8 Wochen. Wie lange so ein Entzug dann bei 40mg Paroxetin oder mehr als 100mg Venlafaxin dauern kann, kann man sich leicht ausrechnen, wir sprechen dann von Monaten und Jahren), das zeigt eine Studie zur Rezeptorenbelegung, denn anders als Bschor behauptet sind diese Medikamente schon in kleinen Mengen hochpotent.

Serotonin transporter occupancy of five selective serotonin reuptake inhibitors at different doses: an [11C]DASB positron emission tomography study by Meyer JH1, Wilson AA, Sagrati S, Hussey D, Carella A, Potter WZ, Ginovart N, Spencer EP, Cheok A, Houle S.

Außerdem würde ich mir wünschen, dass Patienten von Ärzten vor Verschreibung eines Antidepressivum ausführlich und verbindlich aufgeklärt werden, anhand eines Aufklärungsbogens (z.B. dem Aufklärungsbogen Antidepressiva des Landesnetzwerks Selbsthilfe seelische Gesundheit e.V. (NetzG-RLP e.V.) ), wie es z.B. vor einer OP oder einem medizinischen Eingriff wie einer Magenspiegelung der Fall ist, der Patient muss per Unterschrift bestätigen, dass er aufgeklärt wurde, der Arzt in gleicher Weise, dass er aufgeklärt hat. Der Patient kann dann frei entscheiden, ob er eine solche Behandlung möchte oder nicht. Damit wäre schon viel gewonnen.

Fußnoten
1. Read J et al. Adverse emotional and interpersonal efects reported by 1829 New Zealanders while taking antidepressants. Psychiatry Res. 2014;216:67-73.
2. Read J et al. The interpersonal adverse effects reported by 1008 users of antidepressants; and the incremental impact of polypharmacy. Psychiatry Res. 2017;256:423-27.
3. Read J, Williams J. Adverse efects of antidepressants reported by a large international cohort: Emotional blunting, suicidality, and withdrawal efects. Curr Drug Saf. 2018;13:176-86.
4. Johnson CF et al. Reviewing long-term antidepressants can reduce drug burden: A prospective observational cohort study. Br J Gen Pract. 2012;62e773-9.
5. Mojtabai R, Olfson M. National trends in long-term use of antidepressant medications: Results from the U.S. National Health and Nutrition Examination Survey. J Clin Psychiatry. 2014;75:169-77.
6. Huijbregts KM et al. Long-term and shortterm antidepressant use in general practice: Data from a large cohort in the Netherlands. Psychother Psychosom. 2017;86:362-9.
7. Verhaak PFM et al. What proportion of initially prescribed antidepressants is still being prescribed chronically after 5 years in general practice? A longitudinal cohort analysis. BMJ Open. 2019;9:e024051.

8. Antidepressiva Forum Deutschland (ADFD), »Infopaket zum Absetzen von Antidepressiva«
9. The Guardian, 3. Mai 2003: Sarah Boseley: »Seroxat maker abondons ‘no addiction’ claim. Firm agrees to alter leaflet to patients after complaints.«
10., 11., 12. »Unglück auf Rezept – Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen« von Peter und Sabine Ansari

Veröffentlicht von

Mein Name ist Markus Hüfner. Ich bin Blogger, Webdesigner und Künstler. In diesem Blog schreibe ich über meine Erfahrungen mit der Heilkraft der buddhistischen Psychologie und dem richtigen Reduzieren und Absetzen von Psychopharmaka auf Stand der aktuellen Wissenschaft.