Zum 75. Geburtstag blickt Peter Lehmann auf 45 Jahre unermüdliches Engagement gegen eine antihumanistische Psychiatrie zurück – in seinem neuen Buch »Humanistische Antipsychiatrie: Texte aus 45 Jahren«. Es ist sein bisher persönlichstes Werk und zugleich ein Vermächtnis voller Mut und Inspiration. In meiner Rezension würdige ich Peter Lehmann als langjährigen Weggefährten und unverzichtbaren Ansprechpartner für Betroffene – besonders im Bereich Psychopharmaka-Entzug. Dieses Buch zeigt eine neue, sehr persönliche Seite von ihm: Es verbindet die Erfahrungen seines Lebens mit politischem Engagement und gelebter Solidarität. Damit ist es zugleich ein Mut machender Rückblick und ein praxisnaher Wegweiser für Betroffene, Angehörige und Fachleute.
Ich kenne Peter Lehmann seit rund zehn Jahren. Das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe, war »Psychopharmaka absetzen: Erfolgreiches Absetzen von Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, Ritalin und Tranquilizern (2013)« – ein Werk, das für viele Betroffene, so auch für mich, wegweisend wurde.
Ich befinde mich seit 2009 im Langzeitentzug von mehreren Psychopharmaka und suchte damals dort zuerst Hilfe, wo ich erwartete, sie zu finden: Bei den beiden großen Selbsthilfeorganisationen für Menschen mit Depressionen, der »Stiftung Deutsche Depressionshilfe« und der »Deutsche DepressionsLiga e. V.«. Ich war überrascht und irritiert, dass ich dort nichts über die körperliche Abhängigkeit von Antidepressiva fand und auch nichts darüber, wie man Antidepressiva richtig reduziert und absetzt.
Stattdessen stieß ich auf eine vollständige Verharmlosung von Antidepressiva und eine dringende Empfehlung – ja schon ein Aufzwingen –, diese einzunehmen: Sie seien angeblich
- gut wirksam,
- hätten kaum Nebenwirkungen,
- machten nicht abhängig,
- veränderten die Persönlichkeit nicht und
- könnten Suizide verhindern.
Die Wissenschaft hat gezeigt, dass davon kein Wort stimmt.
So suchte ich woanders nach Hilfe und fand Peter Lehmann und den »Antipsychiatrieverlag (Peter Lehmann Publishing)«. Seitdem habe ich nicht nur seine Fachbücher gelesen, in denen ich das notwendige Wissen fand, sondern noch viel mehr.
Aus heutiger Sicht haben seine Bücher und sein persönliches Engagement zur Aufklärung mich inspiriert, mich ebenfalls zu engagieren und aufzuklären. 2018 gründete ich mein Infoportal »Raus aus der Psychopharmakafalle«.
Peter Lehmann hat mir in schwierigen Phasen, besonders im Psychopharmaka-Entzug, immer wieder geholfen – sei es mit klaren Einschätzungen, praktischen Hinweisen oder auch einfach dadurch, dass er stets verlässlich ist. Er hat mich geerdet, wenn ich verzweifelt oder frustriert war. Dabei hat er selbst ähnliche Erfahrungen gemacht, wenn ihm Hindernisse durch Organisationen in den Weg gestellt wurden, die in der Öffentlichkeit die Meinungshoheit über die Ursachen von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen beanspruchen und Psychopharmaka unkritisch bewerben.
Daraus ist über die Jahre eine persönliche Beziehung gewachsen. Auf meinem eigenen Infoportal habe ich ihn oft als Ansprechpartner empfohlen und seine Bücher vorgestellt, zuletzt auch in einer Rezension zum gemeinsam mit Craig Newnes verfassten Buch »Psychopharmaka reduzieren und absetzen: Praxiskonzepte für Fachkräfte, Betroffene, Angehörige (2023)«.
Mit »Humanistische Antipsychiatrie« ist nun ein Buch erschienen, das sich von seinen bisherigen Werken unterscheidet. Es ist kein reines Fachbuch, sondern ein zutiefst persönlicher Rückblick. Besonders der erste Teil, in dem Peter Lehmann seine eigene Geschichte und Betroffenheit schildert, hat mich tief bewegt. Ich wusste bisher nicht, welche Erfahrungen ihn geprägt haben, und es hat mir eine neue Seite von ihm gezeigt.
Dieses persönliche Bekenntnis macht das Buch für mich so besonders.
Das Geleitwort von Martin Zinkler setzt bereits einen hohen Maßstab: Es würdigt Peter Lehmanns jahrzehntelanges Engagement, seine Beharrlichkeit trotz vieler Hindernisse und seine internationale Anerkennung.
Aber die eigentliche Stärke des Buches liegt für mich darin, dass es die Verbindung zwischen persönlichem Leid, politischem Engagement und gelebter Solidarität mit Betroffenen und Angehörigen deutlich macht.
Ich bewundere an Peter Lehmann, dass er nicht – wie viele andere Betroffene – nach einer eigenen Heilung Abstand genommen hat. Stattdessen hat er sich entschlossen, seine Erfahrungen zu teilen und sich dauerhaft einzumischen: in Publikationen, Vorträgen, politischen Gremien und im direkten Kontakt mit Hilfesuchenden. Auch mit nun 75 Jahren schreibt er Bücher, beantwortet Anfragen und bringt Anträge in Organisationen ein, in denen er mitarbeitet – für eine sozialere Psychiatrie. Diese Energie, gepaart mit Beharrlichkeit und Mut, ist außergewöhnlich.
Für mich ist Peter Lehmanns Lebenswerk ein Beispiel für das, was ich »Bestimmung« nenne: das bewusste Annehmen einer Aufgabe, die größer ist als man selbst und die dem Wohl anderer dient. Er hätte nach den schweren Erfahrungen auch den Weg des Rückzugs wählen können, so wie viele, die nach ihrer Genesung mit dem Thema Psychiatrie nichts mehr zu tun haben wollen. Doch er hat sich anders entschieden – und damit unzähligen Betroffenen neue Perspektiven eröffnet.
Er ist für viele eine Inspiration, es ihm gleichzutun – im Rahmen der eigenen Möglichkeiten, so wie ich es tue.
»Humanistische Antipsychiatrie« ist deshalb nicht nur eine Sammlung von Texten aus 45 Jahren, sondern auch ein Stück gelebte Zeitgeschichte, die Mut macht und inspiriert. Es ist ein Buch für Fachleute, Angehörige und vor allem für Betroffene, die spüren wollen, dass sie mit ihrer Kritik und ihrem Leid nicht alleinstehen und dass sie in ihrem Leid gesehen werden. Bei Peter Lehmann ist das immer so! Durch meine Aufklärung in Facebook-Absetzgruppen habe ich viele Betroffene kennengelernt, die ebenfalls bei Peter Lehmann Hilfe gesucht und gefunden haben.
Lieber Peter Lehmann, ich danke Dir von Herzen für Dein Engagement, für Deine persönliche Hilfe. Du hast mich wie kein anderer dazu inspiriert, mich ebenfalls zu engagieren. Und auch wenn das oft frustrierend ist und man ständig im Zweifel ist, ob das denn Sinn macht, ob überhaupt jemand liest, was man schreibt, so erfährt man doch etwas Essenziell-Wichtiges für ein gelingendes Leben:
Selbstwirksamkeit und Dankbarkeit.
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