Meinen letzten Benzodiazepin-Entzug habe ich auch mit Hilfe eines »Bereitschafts- und Aktionsplanes« geschafft. Damit Du Dir ein Bild davon machen kannst, wie ein solcher Plan für einen Psychopharmaka-Entzug aussehen könnte, habe ich den Plan meines letzten Benzodiazepin-Entzuges hier veröffentlicht.
Der Bereitschafts- und Aktionsplan ist eine Anleitung wie man sich ein Ziel setzt, welche Werte mit diesem Ziel verbunden sind und wie ich mit möglichen auftauchenden inneren Blockaden und äußeren Hindernissen umgehen kann. Der Plan ist aus dem Buch »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei – Ein Umdenkbuch« von Russ Harris. Ich habe den Original-Plan von Russ Harris mit dessen Anleitung mir Ziele setzen kombiniert.
Beide Anleitungen (Ziele setzen ab Seite 19, Bereitschafts- und Aktionsplan ab Seite 24) findest Du in den Arbeitsblättern zum Buch, die Du hier als PDF-Dokument kostenlos runterladen kannst:
Bei der Frage Die Werte, die meinem Ziel zugrunde liegen sind
, kannst Du Dich an den Arbeitsblättern Klären Sie Ihre Werte und dem Bullseye orientieren. (ab Seite 12)
Bin ich bereit einen Entzug zu machen?
Aus eigener Erfahrung halte ich es für wichtig, dass Du Dich zunächst fragst, ob Du dazu bereit bist, einen Entzug zu machen bzw. wann der richtige Zeitpunkt dafür ist.
Wenn es möglich ist, lasse Dir damit Zeit und plane den Entzug sorgfältig.
Informiere Dich gründlich
Solltest Du in Erwägung ziehen einen Psychopharmaka-Entzug zu machen, ist es wichtig, sich vorher gründlich darüber zu informieren. So kannst Du selbst mitentscheiden, wann, wo und wie Du einen solchen Entzug machen möchtest. Da ich weder Arzt noch Psychotherapeut bin, bitte ich Dich vorher meinen medizinischen Haftungsausschluss zu lesen.
Auf keinen Fall darfst Du Deine Medikamente abrupt absetzen! Dies kann zu schweren Entzugssymptomen führen.
Ein solcher Entzug kann ambulant durch einen Facharzt begleitet, teilstationär oder stationär durchgeführt werden. Hast Du einen psychiatrischen Facharzt, zu dem Du ein vertrauliches Verhältnis, ein stabiles soziales Umfeld und keine begleitenden psychischen Erkrankungen (Depressionen, Zwänge usw.) ist ein ambulanter Entzug in Erwägung zu ziehen. Der Vorteil dabei ist den Entzug an Deine Bedürfnisse individuell anzupassen und Dir Zeit dafür zu nehmen. In einer Klinik ist die Zeit dafür begrenzt, meist auf 4-6 Wochen. Daher wird der Entzug in den meisten Kliniken viel zu schnell gemacht. Es hängt auch davon ab, was für ein Psychopharmaka Du absetzen willst.
Wenn Du Dich vielleicht schon mit dem A-B-S-Konzept vertraut gemacht hast, das ich in meinem Blog vorstelle, dann kannst Du damit anfangen, einen Bereitschafts- und Aktionsplan zu erstellen, um den Entzug zu planen.
Hast Du den Plan erstmal dokumentiert, kannst Du entscheiden:
- Ob Du bereit bist, den Entzug zu machen?
- Wann Du den Entzug machen möchtest?
- Wo Du den Entzug machen willst?
- Wie Du den Entzug machen willst?
Zunächst die Anleitung, wie man sich Ziele setzt, um diese möglichst zu erreichen:
Setzen Sie sich ein SMART-Ziel:
Wenn Sie sich Ziele setzen, achten Sie darauf, dass Sie sich ein SMARTes Ziel setzen. Diese Abkürzung bedeutet:
S = spezifisch: Setzen Sie sich kein vages, verschwommenes oder schlecht umgrenztes Ziel wie »Ich werde liebevoller sein«. Formulieren Sie stattdessen spezifisch: »Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, werde ich meinen Partner/meine Partnerin lange und fest umarmen.« Präzisieren Sie also, was Sie tun werden.
M = maßgeblich: Das Ziel muss mit maßgeblichen Werten übereinstimmen. Wenn es wirklich durch Ihre Werte geleitet ist, und nicht einer starren Regel folgt, oder dem Bedürfnis, es anderen recht zu machen, oder der Neigung, einen Schmerz auszuweichen, dann wird es Sinn machen.
A = anwendbar: Wird die Anwendung dieses Ziels Ihr Leben wahrscheinlich in irgendeiner Weise verbessern?
R = realistisch: Vergewissern Sie sich, dass das Ziel angesichts der Ihnen verfügbaren Ressourcen realistisch ist. Zu den nötigen Ressourcen können gehören: Zeit, Geld, körperliche Gesundheit, Unterstützung durch andere, Wissen und Fertigkeiten. Falls bestimmte Ressourcen nötig, aber nicht verfügbar sind, müssen Sie Ihr Ziel so ändern, dass es realistisch wird. Das neue Ziel könnte zum Beispiel darin bestehen, sich die fehlenden Ressourcen zu beschaffen: das nötige Geld ansparen, die erforderlichen Fertigkeiten erlernen, ein soziales Netzwerk aufbauen, die Gesundheit verbessern und so weiter.
T = terminiert: Setzen Sie eine klare Terminvorgabe für das Ziel. Legen Sie so genau wie möglich Tag, Datum und Zeit fest, an dem Sie die geplanten Handlungen ausführen werden.
Quelle: Russ Harris, »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei« »Ziele setzen«
Mein Bereitschafts- und Aktionsplan zum Benzodiazepinentzug
Notieren Sie Ihr SMART-Ziel hier:
Benzodiazepinentzug in der Tagesklinik G. ab 15. Mai 2012
Die Werte, die meinem Ziel zugrunde liegen sind:
- Ich möchte freundlich, fürsorglich und achtsam mit meinem Körper umgehen und ihm keinen weiteren Schaden durch die Einnahme jeglicher Psychopharmaka zufügen, ich möchte Langzeitschäden durch die Einnahme jeglicher Psychopharmaka vorbeugen. (Gesundheit, Fürsorge, Achtsamkeit, Selbstmitgefühl)
- Trotz der Einnahme von Benzodiazepinen sind die Entzugssymptome nicht weg und ich habe kaum noch eine Wirkung (Toleranzeffekt) und immer mehr Nebenwirkungen. (Albträume, Halluzinationen, Konzentrationsstörungen) vor allem die Depressionen sind deutlich stärker geworden (Gesundheit, Fürsorge, A,B,S, Akzeptanz)
- Ich möchte die ACT-Therapie fortsetzen, um den Mut und die Bereitwilligkeit zu entwickeln damit ich ein erfülltes, zufriedenes und sinnvolles Leben schaffen kann, dazu muss ich die Auflagen der Krankenkasse (Entzug, Abstinenz) für die Therapie erfüllen. (Bereitwilligkeit, Akzeptanz, Fürsorge, Selbstmitgefühl, Achtsamkeit, Gesundheit, Lebensfreude, Verantwortung)
- Ich möchte wieder selbst Autofahren können und unabhängig und frei sein, Ausgehen und mich mit Freunden treffen können. (Freiheit, Unabhängigkeit, Lebensfreude)
- Ich möchte mich und mein Leben, so wie es ist annehmen, trotz Depression, Ängsten und den Entzugssymptomen. (A,B,S, Akzeptanz, Verantwortung, Mut)
Diese Gedanken/Erinnerungen, Gefühle, Körperempfindungen, Verlockungen/Drang bin ich bereit zu erleben, während ich mich auf mein Ziel zu bewege:
Gedanken:
- »Ich schaffe es nicht morgen aufzustehen und mich in die Tagesklinik fahren zu lassen, dann ist alles vorbei, meine Eltern werden furchtbar enttäuscht sein und sie werden auch krank werden vor Sorge um mich, das ist alles meine Schuld.«
- »Ich halte die Entzugssymptome nicht aus.«
- »Ich werde eine Panikattacke bekommen und rückfällig werden, dann werde ich entlassen und die ACT-Therapie wird von der Krankenkasse nicht verlängert werden.«
- »Wer verschreibt mir dann noch Benzodiazepine?«
- »Mir fehlt jegliche Bereitwilligkeit die starken Ängste, Panik und die körperlichen Symptome auszuhalten.«
- »Ich bin nicht stark genug, mir fehlt der Mut und die Bereitwilligkeit das durchzuziehen.«
- »Ich bin ein hoffnungsloser Fall, mir kann keiner mehr helfen.«
- »Es wird genauso beschissen laufen, wie auf der Station.«
- »Die Entzugssymptome werden nie wieder weggehen.«
- »Ich fühle mich einsam und allein, keiner wird Verständnis für meine Situation haben, Ärzte, Therapeuten, Pflegekräfte werden mich wieder ohne Respekt und Verständnis und Mitgefühl behandeln.«
Gefühle:
- Angst/Panik
- Traurigkeit
- Ärger/Wut
- Schuld
Körperempfindungen:
- Druck und Enge im Brustbereich
- Atemnot
- Herzrasen
- Erstarrung
- Magen-Darmkrämpfe, Übelkeit
- extreme Anspannung der Muskeln
- Kribbeln in Armen und Beinen
- Derealisation
- Wahrnehmungsstörungen (zentrales Nervensystem)
Verlockung/Drang:
- Zu Hause bleiben
- Diazepam nehmen
- Entzug abbrechen
Falls Schwierigkeiten in Form von Gedanken und Gefühlen, Körperempfindungen, Verlockung/Drang auftauchen, werde ich folgende Strategien anwenden, um mich davon zu lösen, Raum zu schaffen und präsent zu werden:
- Zettel mit 10 schlimme Gedanken durchlesen, Geschichte benennen und Werte bewusst machen.
- Entschärfung (Ich habe den Gedanken dass…, Geschichte benennen und bei Verstand bedanken).
- Ausdehnung (Gefühle und Körperempfindungen bewusst wahrnehmen, Gefühle benennen, Raum schaffen, zulassen, loslassen).
- Übung: »Sei wie ein Baum«.
- Konzentration auf den Atem, bis Panik vorüber ist.
- »Mettâ-Sätze« innerlich sprechen.
- Kurzen Body-Scan machen.
- Ausreichend trinken, auf Ernährung achten, Entspannungsübungen, Sport.
Was sind mögliche äußere Schwierigkeiten (alles außer Gedanken und Gefühlen, was Sie aufhalten könnte, zum Beispiel Mangel an Geld, Zeit oder Fertigkeiten und persönliche Konflikte mit anderen Menschen, die beteiligt sind?
- Konflikte: mit Oberärztin, Therapeuten, Pflegekräfte, wie der Entzug gemacht wird, wie man mir begegnet?
- Zeit: Der Entzug wird zu schnell gemacht.
Und was können Sie dann tun?
- Mit Oberärztin, Therapeut, Pflegekräfte sprechen, gemeinsam nach einer Lösung suchen.
- mit Mitpatienten sprechen.
- Darum bitten den Entzug langsamer zu machen, evtl. um eine Verlängerung der Behandlung bei der Krankenkasse bitten.
Es kann mir helfen mich daran zu erinnern, dass:
- Ich bereits einen Entzug erfolgreich unter schwierigsten Umständen geschafft habe.
- Ich die ACT-Strategien geübt habe und beherrsche.
- Ich den Entzug in einem geschützten Rahmen mache mit Personen, die mir helfen werden den Entzug zu schaffen.
- Ich mich in der Vergangenheit in der Tagesklinik schnell eingelebt und immer sehr wohl und gut behandelt gefühlt habe.
- Die Entzugssymptome schon die ganze Zeit da sind und ich sie bisher ertragen konnte.
- Ich während des Entzuges eine Akupunkturbehandlung bei meiner Internistin mache.
Gehen Sie eine Verpflichtung ein (Commitment):
Wissenschaftliche Studien zeigen: Wenn man sich öffentlich zu einem Ziel bekennt, das heißt wenn man dieses Ziel zumindest einer anderen Person mitteilt, zieht man den Plan mit wesentlich größerer Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich durch. Falls Sie nicht dazu bereit sind, können Sie diese Verpflichtung wenigstens sich selbst gegenüber eingehen. Aber wenn Sie wirklich das beste Ergebnis erzielen wollen, sollten Sie unbedingt jemand anderem davon erzählen.
Ich verpflichte mich (notieren Sie hier Ihr im Einklang mit Ihren Werten stehendes SMART-Ziel):
Meinen Eltern gegenüber, meiner besten Freundin I. gegenüber, meiner Therapeutin Frau H. gegenüber den Benzodiazepinentzug am 15. Mai 2012 in der Tagesklinik G. zu beginnen.
Sprechen Sie Ihre Verpflichtung nun laut aus – idealerweise in Anwesenheit von jemand anderem, aber zumindest sich selbst gegenüber.
Weitere hilfreiche Tipps zum Setzen von Zielen:
- Stellen Sie einen Schritt-für-Schritt-Plan auf, indem Sie Ihr Ziel in konkrete, messbare und zeitlich terminierte Unterziele aufteilen.
- Erzählen Sie anderen Menschen von Ihrem Ziel und den Fortschritten, die Sie machen. Eine öffentliche Erklärung fördert die Verpflichtung.
- Belohnen Sie sich für Fortschritte, denn kleine Belohnungen werden Sie darin bestärken, auf einen großen Erfolg hinzuarbeiten. Eine solche Belohnung kann etwas ganz Einfaches sein, zum Beispiel, wenn Sie zu sich sagen: »Gut gemacht! Du hast angefangen!«
- Dokumentieren Sie Ihren Fortschritt in einem Tagebuch oder mit einer Grafik oder Zeichnung.
Quelle: Russ Harris, »Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei«, »Bereitschafts- und Aktionsplan«
Russ Harris, »Wer vor dem Schmerz flieht, wird von ihm eingeholt«, »Ziele setzen«
Aloha
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