Diesen Beitrag über die Problematik des Selbstwertgefühls habe ich vollständig aus dem Buch »Wer dem Glück hinterherrent, läuft daran vorbei – ein Umdenkbuch« des Autoren und Psychologen Russ Harris übernommen. Es ist ein Thema, das mir sehr wichtig ist, da es für viele Probleme einer modernen, westlichen Gesellschaft verantwortlich ist und Harris hat es wunderbar erklärt.
Inhaltsübersicht:
Was mögen Sie an sich am wenigsten?
Was mögen Sie an sich am wenigsten? Ich habe diese Frage Tausenden von Menschen gestellt, sei es einzeln oder in Gruppen, und Ihnen hier einige der häufigsten Antworten zusammengestellt:
- Ich bin zu schüchtern/ängstlich/zaghaft/bedürftig/empfindlich/ passiv.
- Ich bin blöd/dumm/chaotisch.
- Ich bin dick/hässlich/nicht in Form/faul.
- Ich bin selbstsüchtig/kritisch/arrogant/eitel.
- Ich bin verurteilend/zornig/gierig/aggressiv/halsstarrig.
- Ich bin ein Lahmarsch/Versager/Verlierer.
- Ich bin langweilig/ignorant/vorhersehbar/zu ernst/antriebslos/ beschränkt.
Und dies sind nur einige der Antworten. Die Palette ist nahezu unendlich. Jeder hat seine eigenen persönlichen Abneigungen, aber alle Antworten weisen auf das gleiche grundlegende Thema hin:
Ich bin nicht gut genug, so wie ich bin. Mit mir ist etwas nicht in Ordnung oder mir fehlt etwas
Das ist eine Botschaft, die unser Geist immer und immer wieder aussendet.
Wie sehr wir uns auch bemühen oder wie viel wir auch erreichen, unser »Denkendes Ich« kann immer etwas an uns finden, das ihm nicht gefällt, eine Weise, in der wir unzulänglich oder nicht gut genug sind. Und das ist kaum verwunderlich, wenn wir uns an die Entwicklung des menschlichen Geistes erinnern. Das »Lass dich nicht abmurksen!«-Werkzeug unserer Vorfahren hat ihnen geholfen zu überleben, indem es sie ständig mit anderen Mitgliedern des Clans verglich, um zu gewährleisten, dass sie nicht abgelehnt wurden. Und es lenkte ihre Aufmerksamkeit ständig auf ihre Schwächen, damit sie an ihnen arbeiten und auf diese Weise länger leben konnten!
Das Problem dabei ist allerdings, dass die Neigung des Denkenden Ichs, uns ständig auf Bereiche hinzuweisen, in denen wir nicht gut genug sind, letztlich dazu führt, dass wir das Gefühl bekommen, nicht erfolgreich, unzureichend, wertlos, nicht liebenswert oder inkompetent zu sein oder wie auch immer unsere Version von nicht gut genug aussehen mag. Wir haben einen allgemeinen Begriff dafür: »niedriges Selbstwertgefühl«.
Was ist Selbstwertgefühl?
Was ist denn eigentlich Selbstwertgefühl? Im Grunde genommen ist es eine Meinung, die Sie über den Menschen haben, der Sie sind. Hohes Selbstwertgefühl ist eine positive Meinung; niedriges Selbstwertgefühl ist eine schlechte Meinung.
Letzten Endes ist Selbstwertgefühl ein Haufen von Gedanken darüber, ob Sie ein »guter Mensch« sind oder nicht. Und hier kommt der zentrale Punkt: Selbstwertgefühl ist kein Faktum; es ist nur eine Meinung. Jawohl. Es ist nicht die Wahrheit. Es ist nichts weiter als ein höchst subjektives Urteil. »Nun gut«, mögen Sie sagen, »aber ist es nicht wichtig, eine gute Meinung von sich selbst zu haben?«
Nun ja, nicht unbedingt. Lassen Sie uns zunächst betrachten, was eine Meinung ist: Eine Meinung ist eine Geschichte, nichts als Worte. Zweitens ist sie ein Urteil, keine sachliche Beschreibung. (Denken Sie daran, »Julia Roberts ist eine Filmschauspielerin« ist eine sachliche Beschreibung; »Julia Roberts ist eine sehr talentierte Schauspielerin« ist eine Meinung/ein Urteil.) Also ist Selbstwertgefühl vor allem ein Urteil, das unser Denkendes Ich über uns als Menschen fällt.:
Angenommen, wir entschieden uns nun, ein hohes Selbstwertgefühl zu haben. Wie kommen wir dazu?
Warum ein hohes Selbstwertgefühl auch schlecht sein kann?
Im Allgemeinen besteht die Tendenz, dass wir mit uns selbst argumentieren, uns rechtfertigen und mit uns feilschen, bis wir unser Denkendes Ich schließlich davon überzeugt haben, dass wir ein »guter Mensch« sind. Wir können zum Beispiel das Argument vorbringen: »Ich mache meine Arbeit gut, ich trainiere regelmäßig, ich ernähre mich gesund und helfe anderen – das bedeutet doch wohl, dass ich im Grunde ein guter Mensch bin.« Und wenn wir wirklich an diese Schlussfolgerung, ein »guter Mensch« zu sein, glauben, dann haben wir ein hohes Selbstwertgefühl.
Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass Sie ständig beweisen müssen, dass Sie ein guter Mensch sind. Sie müssen ständig diese gute Meinung von sich rechtfertigen. Sie müssen diesen »Nicht gut genug«-Geschichten ständig die Stirn bieten. Und all das kostet eine Menge Zeit und Mühe. Tatsächlich ist es eher wie ein niemals endendes Schachspiel.
Stellen Sie sich ein Schachspiel vor, in dem alle Figuren Ihre eigenen Gedanken und Gefühle sind. Auf der einen Seite des Brettes haben wir die schwarzen Figuren: all Ihre »schlechten« Gedanken und Gefühle. Auf der anderen Seite haben wie die weißen Steine: all Ihre »guten« Gedanken und Gefühle. Und es gibt einen fortlaufenden Kampf zwischen den Figuren: Die weißen greifen die schwarzen an und umgekehrt. Wir sind einen großen Teil unseres Lebens in dieses Spiel vertieft. Aber es ist ein nie endender Krieg, weil es auf beiden Seiten eine unendliche Anzahl von Steinen gibt.
Wie viele Figuren auch geschlagen werden, sie werden immer gleich von anderen ersetzt.
Wenn Sie nun versuchen, Ihr Selbstwertgefühl zu heben, sammeln Sie so viele weiße Steine wie möglich, indem Sie denken: »Mein Chef hat mir gerade eine Gehaltserhöhung gegeben« – »Ich werde dreimal die Woche zum Sport gehen« und so weiter. Wenn Sie mit den weißen Figuren auf dem Brett vorrücken, beginnt sich Ihr Selbstwertgefühl zu heben.
Aber das Problem ist: Eine ganze Armee schwarzer Steine wartet nur auf den Gegenangriff! Und in dem Augenblick, da Sie einen Fehler machen – der Augenblick, in dem Sie aufhören, all diese Dinge zu tun, die Sie dazu benutzen, um Ihre »Ich bin ein guter Mensch«-Meinung zu rechtfertigen -, greifen diese schwarzen Figuren an und Ihr Selbstwertgefühl löst sich auf wie ein Stück Zucker im Regen.
Sie hören einige Tage auf, zum Sport zu gehen, und Ihr Kopf sagt: »Siehst du, es war ja klar, dass du das nicht durchhalten würdest.« Sie verlieren die Geduld mit einem Freund und Ihr Kopf sagt: »Was bist du nur für ein schäbiger Freund?« Sie machen bei Ihrer Arbeit einen Fehler und Sie hören: »O je, was für ein Versager!«
Also versuchen Sie, einige weitere weiße Figuren zu ergattern. Vielleicht benutzen Sie positive Affirmationen und wiederholen immer wieder Sätze wie »Ich bin ein wundervoller Mensch, voller Liebe, Kraft und Mut«. Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass die meisten Menschen nicht wirklich daran glauben, was sie sagen. Es ist ein wenig so, als sagten Sie »Ich bin Superman« oder »Ich bin Superfrau«.
Ganz gleich, wie oft Sie das für sich wiederholen würden, Sie würden es nicht wirklich glauben, oder?
Die Anziehung von Gegensätzen
Ein anderes Problem besteht darin, dass jede positive Affirmation, die Sie verwenden, ungeachtet dessen, ob sie wahr ist oder nicht, auf natürliche Weise dazu neigt, eine negative Reaktion anzuziehen. (Die weißen Figuren ziehen immer die schwarzen an.) Um das zu untermalen, probieren Sie die folgende Übung aus:
Übung »positives Denken«
Lesen Sie bei dieser Übung jeden Satz langsam und tun Sie Ihr Bestes, daran zu glauben. Beachten Sie dabei, welche Gedanken Ihnen automatisch in den Sinn kommen.
- Ich bin ein Mensch.
- Ich bin ein wertvoller Mensch.
- Ich bin ein liebenswerter, wertvoller Mensch.
- Ich bin ein kompetenter, liebenswerter, wertvoller Mensch.
- Ich bin ein vollkommener, kompetenter, liebenswerter, wertvoller Mensch.
Was ist geschehen, als Sie versucht haben, an diese Aussagen zu glauben? Bei den meisten Menschen gilt, je positiver der Gedanke, desto mehr Widerstand taucht auf, mit Gedanken wie: »Na ja«, »Wer’s glaubt…«, »Nun mach mal halblang!« (Einige Menschen schaffen es tatsächlich, mit Affirmationen wie den oben angeführten zu verschmelzen, und fühlen sich deshalb toll – für einen Moment. Aber das Gefühl hält nicht lange an. Schon bald werden die schwarzen Figuren wieder zum Angriff blasen.)
Jetzt möchte ich Sie bitten, die gleiche Übung mit dem folgenden Satz zu machen:
- Ich bin ein nutzloses Stück Scheiße.
Was ist jetzt geschehen? Die meisten Menschen bringen zu ihrer eigenen Verteidigung einen positiven Gedanken hervor wie »Moment mal, so schlecht bin ich nun auch nicht!« oder »Das glaube ich auf keinen Fall«. (Und wieder einmal verschmilzt eine geringe Zahl von Menschen vollkommen mit diesem Gedanken und fühlt sich daraufhin miserabel.)
Die Wirklichkeit ist: Wir können eine endlose Zahl an guten oder schlechten Geschichten finden, die wir über uns erzählen, und solange wir auf Selbstwertgefühl aus sind, werden wir eine Menge Zeit mit diesem Schachspiel verschwenden und eine endlose Schlacht gegen unseren eigenen grenzenlosen Vorrat an negativen Gedanken kämpfen.
Angenommen ein schwarzer Stein taucht auf und sagt: »Wie konntest du nur so ein verdammter Idiot sein?« und Sie sammeln die weißen Figuren zur Hilfe um sich: »Natürlich bist du kein Idiot, du hast nur einen Fehler gemacht. Du bist ein Mensch.« Aber eine andere schwarze Figur tritt auf und sagt: »Du spinnst wohl? Sieh doch nur, wie du das schon beim letzten Mal vermasselt hast!« Und Sie schlagen mit einem weiteren weißen Stein zurück: »Ja, aber dieses Mal habe ich meine Lektion gelernt.« Ein anderer schwarzer Stein sagt: »Du bist so ein Idiot, du wirst das nie schaffen!«
Der Kampf heizt sich immer mehr auf mit immer weiteren beteiligten Figuren. Und was passiert unterdessen? Während Ihre Aufmerksamkeit dem Schachspiel gilt, ist es ziemlich schwer, mit etwas anderem in Verbindung zu kommen.
Wenn Sie völlig in den Kampf mit Ihren Meinungen vertieft sind, sind Sie vom Leben und der Welt um Sie herum abgetrennt.
Wollen Sie Ihre Tage wirklich damit verbringen, sich mit Ihren eigenen Gedanken herumzuschlagen? Zu versuchen, sich selbst zu beweisen, dass Sie ein guter Mensch sind? Sich ständig zu rechtfertigen oder Ihren Wert bestätigen zu müssen?
Würden Sie es nicht vorziehen, einfach die Waffen niederzulegen?
Das Selbstwertgefühl loslassen
Wenn Sie ein geringes Selbstwertgefühl haben, fühlen Sie sich mies; wenn es aber hoch ist, streben Sie ständig danach, es aufrechtzuerhalten. (Und im Hintergrund ist da ständig die Sorge, es könnte wieder fallen.) Wie würde das Leben also aussehen, wenn Sie das Selbstwertgefühl völlig losließen? Wenn Sie es vollkommen sein ließen, Ihre eigene Person zu beurteilen?
Ihr Denkendes Ich würde natürlich weiter all seine Urteile fällen, aber Sie würden sie als das ansehen, was sie sind – nur Worte. Und Sie würden sie kommen und gehen lassen wie vorüberfahrende Autos. (Und wenn Sie zur Unterstützung einige Entschärfungstechniken verwenden wollten, dann könnten Sie Ihrem Verstand danken oder zur Kenntnis nehmen: »Ich habe den Gedanken, dass ich nicht gut genug bin.« Oder Sie können einfach die »Nicht gut genug«-Geschichte betiteln.)
Wie kommt Ihnen das als Konzept vor? Seltsam? Wundervoll? Exzentrisch? Zweifelsohne wirft es einige Fragen auf:
Frage: »Brauche ich nicht ein hohes Selbstwertgefühl, um mir ein reiches und sinnvolles Leben schaffen zu können?«
Antwort: »Nein, das brauchen Sie nicht. Sie müssen sich lediglich mit Ihren Wertvorstellungen verbinden und ihnen entsprechend handeln.«
Frage: »Ist das mit hohem Selbstwertgefühl nicht leichter zu erreichen?«
Antwort: »Manchmal ja, aber oft auch nicht.«
Frage: »Warum nicht?«
Antwort: »Weil der ständige Versuch, Ihr Selbstwertgefühl hochzuhalten, Sie von dem abbringen kann, was Ihnen wichtig ist. Denken Sie an Michelle, die bis spätabends im Büro saß, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern, es aber versäumte, Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Ein hohes Selbstwertgefühl mag Ihnen kurzfristig ein paar angenehme Gefühle schenken, aber auf lange Sicht wird der Versuch, es aufrechtzuerhalten, Sie wahrscheinlich auslaugen. Aufgrund der Evolutionsgeschichte des menschlichen Geistes wird die »Nicht gut genug«-Geschichte auf die eine oder andere Weise immer wieder zurückkehren. Wollen Sie den Rest Ihres Lebens damit verbringen, gegen sie anzukämpfen? Warum sollten Sie sich darum kümmern, wenn Sie auch ohne all diese Anstrengungen ein erfülltes Leben haben können?«
Frage: »Aber haben Menschen mit hohem Selbstwertgefühl nicht ein besseres Leben?«
Antwort:»Dies ist ein weiteres, weitverbreitetes Märchen. Sicherlich führen einige wenige Menschen mit hohem Selbstwertgefühl ein besseres Leben, aber wenn Sie sich die namhafte wissenschaftliche Forschung zum Thema des Selbstwertgefühls ansehen, werden Sie feststellen, dass es vielen Menschen eher große Probleme bereitet.
Es führt leicht zu Arroganz, Selbstgerechtigkeit, Selbstsucht, Egoismus oder einem trügerischen Gefühl der Überlegenheit (was dann leicht Diskriminierung und Vorurteile hervorrufen kann). Wessen Selbstwertgefühl weitgehend von herausragender Arbeit abhängig ist, hat darunter besonders zu leiden. Wenn er gute Arbeit leistet, fühlt er sich großartig, doch sobald seine Leistung nachlässt (was immer früher oder später geschieht), bricht sein Selbstwertgefühl zusammen. Dies führt in einen Teufelskreis, weil er zunehmend Druck auf sich ausübt, um noch bessere Leistungen zu erbringen, was zu Stress, Erschöpfung und einem Burn-out führen kann.
Die gute Nachricht ist jedoch, dass ein reiches, erfülltes und sinnvolles Leben nicht im Geringsten vom Selbstwertgefühl abhängig ist.«
Frage: »Was schlagen Sie denn als Alternative vor?«
Antwort: »Versuchen Sie nicht, sich etwas zu beweisen. Versuchen Sie nicht, von sich als »guter Mensch« zu denken. Versuchen Sie nicht, Ihren Selbstwert zu rechtfertigen. Welche Urteile Ihr Denkendes Ich auch über Sie fällen mag – seien sie positiv oder negativ -, sehen Sie sie als das an, was sie sind (nur Worte), und lassen Sie sie los.«
Und werden Sie gleichzeitig in Übereinstimmung mit Ihren Werten aktiv. Bereichern Sie Ihr Leben, indem Sie Dinge tun, die wirklich bedeutsam sind. Und wenn Ihnen ein Fehltritt passiert oder Sie vom Weg dieser Werte abkommen – und ich kann Ihnen garantieren, dass das immer wieder geschehen wird -, dann glauben Sie nicht all Ihre harten Selbstverurteilungen. Danken Sie lediglich Ihrem Verstand und lassen Sie diese Worte kommen und gehen. Akzeptieren Sie stattdessen, dass es nun einmal geschehen ist und es kein Zurück mehr gibt. Verbinden Sie sich dann mit dem, was Sie gerade hier und jetzt tun, wählen Sie eine Richtung aus, die Ihnen wichtig ist, und gehen Sie zu effektivem Handeln über.
Wenn Sie das Schlachtfeld um Ihr Selbstwertgefühl hinter sich lassen, dann ist das, was Ihnen bleibt…
Selbstakzeptanz
Selbstakzeptanz bedeutet, sich so anzunehmen, wie man ist. Freundlich zu sich selbst zu sein. Anzunehmen, dass man ein Mensch und daher unvollkommen ist. Sich zu erlauben, Mist zu bauen, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen.
Selbstakzeptanz bedeutet die Weigerung, den Urteilen, die Ihr Verstand über Sie fällt, Glauben zu schenken – seien sie nun gut oder schlecht. Anstatt sich zu verurteilen, erkennen Sie Ihre Stärken und Schwächen an, und Sie tun das, was Sie können, um zu dem Menschen zu werden, der Sie sein wollen. Ihr Kopf wird Ihnen eine unendliche Anzahl Geschichten darüber erzählen, was für ein Mensch Sie sind, aber Sie müssen nicht daran glauben. Schauen Sie sich das folgende Beispiel an:
Haben Sie jemals einen Dokumentarfilm über Afrika gesehen? Was haben Sie gesehen? Krokodile, Löwen, Antilopen, Gorillas und Giraffen? Stammestänze? Krieg? Nelson Mandela? Malerische Marktplätze? Atemberaubende Berge? Hübsche Dörfer auf dem Lande? Armenviertel und Slums? Verhungernde Kinder? Sie können eine Menge lernen, wenn Sie einen Dokumentarfilm sehen, aber eines ist sicher:
Ein Dokumentarfilm über Afrika ist nicht Afrika selbst.
Ein Dokumentarfilm kann Ihnen Eindrücke von Afrika vermitteln, einige spektakuläre Bilder und Klänge. Aber ein Dokumentarfilm kann Ihnen keine echte, lebendige Erfahrung von Afrika geben: den Geschmack und den Geruch des Essens, die Wärme des Sonnenlichts auf Ihrem Gesicht, die Feuchtigkeit des Dschungels, die Trockenheit der Wüste oder das Vergnügen des Umgangs mit den Menschen dort. Wie brillant der Dokumentarfilm auch gedreht sein mag, selbst wenn er tausend Stunden lang wäre, käme er doch nicht der Erfahrung, wirklich dort zu sein, nahe. Weshalb nicht? Weil ein Dokumentarfilm über Afrika nicht das Gleiche ist wie Afrika selbst.
Gleichermaßen würde ein Dokumentarfilm über Sie nicht dasselbe sein wie Sie selbst.
Auch wenn der Dokumentarfilm tausend Stunden dauerte und alle möglichen relevanten Szenen Ihres Lebens enthielte, alle möglichen Interviews mit Menschen, die Sie kennen, und die faszinierendsten Details über Ihre tiefsten Geheimnisse, so wäre der Dokumentarfilm dennoch nicht Sie.
Sie sind nicht der, für den Sie sich halten
Um das wirklich klarzustellen, denken Sie an den Menschen, den Sie auf diesem Planeten am meisten lieben. Gut, womit würden Sie nun lieber die Zeit verbringen, mit der real lebenden Person oder mit einem Dokumentarfilm über sie? Es gibt also diesen riesigen Unterschied zwischen dem, wer wir sind, und jeder Art Dokumentation, die man je über uns erstellen könnte, ganz gleich, wie »wahrheitsgetreu« diese Dokumentation sein mag. (Ich habe »wahrheitsgetreu« in Anführungszeichen gesetzt, denn alle Dokumentationen sind hoffnungslos befangen, weil sie Ihnen nur einen winzigen Teil des großen Bildes zeigen.)
Und die Voreingenommenheit eines menschlichen Filmregisseurs ist nichts im Vergleich zur Voreingenommenheit des Denkenden Ichs. Aus der gesamten lebenslangen Lebenserfahrung wählt das Denkende Ich wenige dramatische Erinnerungen aus, schneidet sie mit einigen Urteilen und Ansichten zusammen und macht daraus einen machtvollen Dokumentarfilm mit dem Titel »Das bin ich«, der meist den Untertitel trägt: »Warum ich nicht gut genug bin«. Wenn wir nun diese Dokumentation ansehen – und das ist das Problem dabei -, dann vergessen wir meist, dass dies nur ein stark zusammengeschnittenes Video ist. Stattdessen glauben wir, wir seien das Video! Aber auf gleiche Weise, wie ein Dokumentarfilm über Afrika nicht Afrika ist, ist ein Dokumentarfilm über Sie nicht Sie.
Ihr Selbstbild, Ihr Selbstwertgefühl, Ihre Urteile über die Art von Mensch, der Sie sind – all diese Dinge sind nichts anderes als Gedanken, Bilder und Erinnerungen, aber das sind nicht Sie.
Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht, es ist eine einfache Tatsache:
Sie sind nicht der, für den Sie sich halten!
Quelle:»Wer dem Glück hinterherrent, läuft daran vorbei – ein Umdenkbuch«, Kapitel »Die große Geschichte«, Seite 246-258 von Russ Harris.
- Literatur:
- »Wer dem Glück hinterherrent, läuft daran vorbei – ein Umdenkbuch«
- Selbstmitgefühl Schritt für Schritt – Kristin Neff (Buch und 4 CDs mit geführten Übungen und Meditationen)
- Selbstmitgefühl: Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden
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