Gesnookert

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Gesnookert

All Sorts of Things very nearly happening, but nothing did and he is relieved»Whispering«-Ted Lowe

Definition:

»gesnookert« – to be snookered (englisch)

  1. Schwierige Spielsituation im Snooker-Sport
  2. Englischer Sprachgebrauch für »sich in einer schwierigen Lage befinden«

24. April 2012
15mg Diazepam–0-0–0,5mg Tavor

Kennen sie den Song »Last Night a DJ saved my life?« Ich glaube zwar nicht das, Snooker allgemein Leben retten kann, aber in dieser Zeit traf das irgendwie zu. Die Snooker Weltmeisterschaften begannen und mein großes Idol Ronnie O’Sullivan gehörte zu den Favoriten auf den Titel. Für alle nicht »Snookermaniacs«, Snooker ist eine Variante des Präzisionssports Billard, die mit speziellen Queues (Spielstock, mit dem die Bälle beim Billardspiel gestoßen werden) auf einem Snookertisch gespielt wird. Das Spielprinzip besteht darin, 15 rote und sechs andersfarbige Bälle (»die Farben«) mit dem weißen Spielball nach bestimmten Regeln in die Taschen zu versenken. Dabei zählt jeder rote Ball einen Punkt und zu jedem roten Ball muss anschließend eine der Farben gespielt werden, die verschiedene Wertigkeiten haben.

Im Vergleich zu den anderen Billardvarianten zeichnet sich Snooker durch einen höheren technischen Schwierigkeitsgrad aus. Das liegt vor allem an den größeren Tischmaßen, dem kleineren Durchmesser der Bälle so wie den engeren und abgerundeten Tascheneinläufen (was eine höhere Präzision beim Lochen erfordert). Das abwechselnde Anspielen von roten und andersfarbigen Bällen sowie das Bestreben des Spielers, möglichst oft den höchstwertigen (schwarzen) Ball zu spielen, um möglichst viele Punkte nacheinander zu erzielen, erfordert ein hohes Maß an Kontrolle über den weißen Spielball.

Ronnie O'Sullivan am Snookertisch mit Hilfsqueue

© 2003 Ronnie O’Sullivan | Ronnie: The Autobiography

Sich in einer schwierigen Lage befinden

Der Name Snooker bezieht sich auf eine Spielsituation, in der ein Spieler einen Ball, den er gemäß den Regeln anspielen müsste, nicht auf direktem Wege oder direkt nicht vollumfänglich erreichen kann und so zu einer schwierigeren Lösung, z. B. über Bande oder einem Bogenball gezwungen ist (dann spricht man von, er wurde »gesnookert«). Diese Bezeichnung hat auch Eingang in die englische Sprache gefunden: »To be snookered« bedeutet »sich in einer schwierigen/aussichtslosen Lage befinden«, »to snooker somebody« bedeutet so viel wie »jemanden sperren«, »jemanden behindern« oder »jemanden in eine schwierige Situation bringen«, so wie uns das Leben oft in schwierige Situationen bringt, die wir nicht vorhersehen können wie Krankheit, einen Schicksalsschlag, Verlust des Arbeitsplatzes usw.

Fairness, Respekt und Wertschätzung

Man könnte sagen, es ist eine typisch britische Sportart. Das zeigt sich auch an der Kleiderordnung: Die Spieler tragen eine Hose aus Tuch, elegante Schnürschuhe oder Slipper, langärmlige Hemden, darüber eine Weste sowie eine Fliege. Wie bei allen Billard-Sportarten sind Fairness, Respekt und Wertschätzung gegenüber dem Gegner selbstverständlich. Dementsprechend verhalten sich die Spieler auch: Begeht ein Spieler einen Regelverstoß, der vom Schiedsrichter nicht bemerkt wurde, zeigt der Spieler diesen sofort selbst an, selbst wenn das bedeutet einen Frame (ähnlich dem Satz beim Tennis) oder gar das ganze Match zu verlieren. Gelingt einem der Spieler ein Snooker oder eine schwierige, aber sichere Ablage des Spielballs (»Safty«), so wird dies vom Gegenspieler durch Tippen mit dem Queue auf die Bande des Tisches anerkennend gewürdigt. Kommt es zu einem »Fluke« (ein Zufallstreffer), wird sich durch eine Geste Richtung des Rivalen dafür entschuldigt. Geht es in einen »Entscheidungsframe« (beide Spieler haben gleichviele Frames geholt und der letzte Frame entscheidet über Sieg oder Niederlage) schütteln sich die Kontrahenten davor respektvoll die Hände, ganz im Sinne von »Möge der bessere gewinnen«. Dieser Sport lebt von der Wertschätzung und dem Respekt der Spieler untereinander, keiner möchte durch eine unfaire Aktion gewinnen.

In England ist Snooker, auch deshalb, nach Fußball die zweitbeliebteste Sportart. Die Spieler leben diese Fairness, diesen Respekt und die Wertschätzung Anderen gegenüber auch abseits des Snookertischs. Sie sind Vorbilder. Das Publikum ist, solange die Spieler am Tisch sind, mucksmäuschen still, man könnte eine Stecknadel fallen hören. Es ist beeindruckend diese absolute Ruhe zu erleben, in der man nur das Geräusch des Stoßes mit dem Queue gegen den weißen Spielball oder ein lautes »Klack« hört, wenn ein Ball mit hoher Geschwindigkeit eingelocht wurde. Kein Fan eines Spielers käme auf die Idee, dessen Gegner durch ausbuhen oder laute Zwischenrufe aus seiner Konzentration zu bringen, während dieser sich am Tisch befindet. Wenn ein besonders spektakulärer Ball eingelocht wurde, durchbrechen die begeisterten Jubelrufe des Publikums diese beinahe meditative Stille. Danach ruft der Schiedsrichter zur Ruhe und das Publikum verstummt wieder. Diese Atmosphäre live zu erleben ist etwas ganz Besonderes.

»Hit and Hope«

»Das Leben ist ein Spiel«, diesen Satz hört oder liest man ja oft. Wenn das Leben wirklich ein Spiel wäre, dann wäre es garantiert Snooker. Auch am Snookertisch spielen sich Dramen ab, es ist ein ständiges auf und ab. Man trifft Entscheidungen und mal ist es die richtige und mal die falsche. Selbst von weit hinten liegend ist es möglich, noch zu gewinnen und umgekehrt mit großem Vorsprung kann man noch verlieren (mal abgesehen von Ronnie, der als exzellenter Frontrunner gilt). Gerade bei den langen Distanzen bei der WM (im Finale über 35 Frames in 4 Sessions auf zwei Tage verteilt) sind solche Verläufe nicht selten, denn es gibt, wie im Leben, unvorhersehbare Spiel-Situationen, auf die man keinen Einfluss hat (ein unsauberer Ballkontakt oder leider auch öfters mal ein klingelndes Handy mitten im Stoß). Dann diktiert das Spiel, was man tun muss oder kann.

In every Match there are Decisions, that will effectivley win or lose a MatchSteve Davis

Egal mit welcher Situation der Spieler am Tisch konfrontiert wird, er muss eine Lösung finden und eine Entscheidung treffen. Wage ich etwas, indem ich einen schwierigen Ball zu lochen versuche, und werde vielleicht belohnt oder spiele ich lieber eine Safty? So wie im Leben, gibt es auch beim Snooker keine Garantie, das ich dafür belohnt werde, wenn ich etwas wage und es gibt auch keine Garantie, das die »Safty« auch wirklich sicher ist, der Gegner also keine Chance bekommt eine Rote zu lochen. Solche Situationen können einem Spiel eine komplette Wendung geben (und auch das Leben kann jederzeit eine Wendung nehmen), dann wird der scheinbar sichere Sieger doch noch zum Verlierer. Legt der Gegner einen besonders raffinierten Snooker, kommt auch schon mal die Methode »Hit and Hope« zum Einsatz (der Spieler stößt den Spielball mit hoher Geschwindigkeit und hofft, dass er erstens eine Rote trifft und zweitens möglichst keinen Einsteiger für den Gegner liegen lässt). Mark King gelang doch tatsächlich in einem Match das Kunststück trotz »Hit and Hope« keine Rote zu treffen, obwohl noch fast alle auf dem Tisch lagen.

Snooker ist wie das Leben: eine emotionale Achterbahnfahrt.

Gelingt das nicht oder man verschießt einen Ball, ist der Gegner dran. Dann kann man nichts anderes tun, als sich in seinen Stuhl zu setzen und zuzusehen, was der Gegner aus der sich bietenden Chance macht. Man hat keine Kontrolle mehr darüber. Diese Dramen machen die Faszination beim Snooker aus. Da kippt ein Ball gerade so eben noch über die Kante des Tascheneinlaufes oder bleibt eben doch daran hängen. Man locht eine fantastische lange Rote, aber der weiße Spielball fällt unglücklich hinterher, was ein Foul ist und den Gegner wieder an den Tisch lässt. Glück und Unglück können von einem Stoß zum nächsten wechseln. Wie oft habe ich schon Spieler in ihrem Stuhl dasitzen sehen, ohnmächtig, am Boden zerstört (die meisten wirken stoisch), die dachten, das war’s, ich habe verloren, um plötzlich doch wieder eine neue Chance zu bekommen, weil der Gegner einen unvorhersehbaren »Kick« (unsauberer Ballkontakt) bekommt und den Ball deshalb verschießt. Dann ist er Derjenige, der sich in seinen Stuhl sinken lässt und sich fragt, warum ihm der Snookergott ausgerechnet jetzt einen Kick beschert. Snooker ist wie das Leben: eine emotionale Achterbahnfahrt.

Gerade die langen Distanzen bei der WM bedeuten eine besonders große psychische Belastung für die Spieler. So ein Match wird in mehreren Sessions über 2 oder 3 Tage ausgetragen. Das bedeutet aber auch, dass die Spieler zwischen den Sessions viel Zeit zum Nachdenken haben. Die meisten Gedanken, wie könnte es anders sein, drehen sich um die vergebenen Chancen und die Fehler. Steve Davis, 6-facher Weltmeister und eine Snooker-Legende, sagte mal, dass ihn eine hohe Führung nach einem Tag selten ruhig hat schlafen lassen. Der einzige Gedanke, den er hatte, war, dass sein Gegner am nächsten Tag ein furioses Comeback startet und ihn noch schlägt. Dieses Spiel wird meistens im Kopf entschieden. Schwierig ist auch, dass man seine Emotionen während des Spieles nicht unmittelbar zeigen kann. Kein Spieler würde laut fluchen, wenn er einen Fehler gemacht hat und sich darüber ärgert, denn das würde eine sofortige Ermahnung durch den Schiedsrichter und spätere Bestrafung durch den Snooker-Weltverband bedeuten. Hier steht wieder der Respekt und die Wertschätzung gegenüber dem Sport, dem Publikum, dem Schiedsrichter und dem Gegenspieler an erster Stelle.

Wer einmal vom Snooker-Virus angesteckt wurde, der kommt nicht mehr davon los

Ronnie O'Sullivan beim Paul Hunter Classic 2011, Fürth

Ronnie O’Sullivan beim Paul Hunter Classic 2011, Fürth


Wer einmal vom Snooker-Virus angesteckt wurde, der kommt nicht mehr davon los. Ich wurde definitiv durch Ronnie O’Sullivan von Snooker infiziert. Er gilt als einer der besten Spieler in der Geschichte des Sports, ist 5-maliger Weltmeister und war über mehrere Spielzeiten hinweg die Nummer eins der Weltrangliste. Auf der Snooker Main Tour hat er mehr [tooltip tip=”Locht man alle roten Bälle (Wert 1) und dazu jeweils den schwarzen Ball (Wert 7) abwechselnd und danach in der richtigen Reihenfolge (aufsteigende Wertigkeit der Bälle) die farbigen Bälle (Wert insgesamt 27), ohne dass der Gegenspieler an den Tisch kommt, wird die höchstmögliche Punktzahl von 147 erreicht.”]Maximum Breaks[/tooltip] (13)und mehr [tooltip tip=”Eine Serie von hundert oder mehr Punkten, ohne dass der Gegenspieler an den Tisch kommt.”]Century Breaks[/tooltip] (824) erzielt als jeder andere Teilnehmer. Er hält auch den Rekord für das schnellste jemals gespielte Maximum Break in 5:20 Minuten. Er spielt beidhändig gleich stark, das wäre so, als ob Roger Federer mit links und rechts Tennis spielen könnte. Dabei wechselt er so natürlich das Queue von der rechten in die linke Hand, das es einem nur auffällt, wenn man speziell darauf achtet. Seine Stoßzeit liegt bei etwa 15 Sekunden, was rasend schnell ist und ihm den Spitznamen »The Rocket« einbrachte. Wenn man ihm beim Spielen zuschaut, dann sieht ein unglaublich schwieriges Spiel spielend einfach aus, so als ob es jeder spielen könnte. Der Unterschied wird einem erst bewusst, wenn man sieht, wie sich andere Top-Spieler schwertun. Es ist ein Genuss Ronnie in Hochform zuzusehen. Der Unterhaltungswert ist enorm und das ist es auch, was er selbst möchte, sein Publikum unterhalten, durch schnelles, spektakuläres und flüssiges Spiel. Mit dem Queue ist er ein Genie.

The most important thing, the biggest love of my life, is my snooker. I’ve never been so emotionally ingrained in something – in a person, an object, anything – as I have in snookerRonnie O’Sullivan

Wie bei den meisten Genies ist der Wahnsinn auch bei Ronnie nicht weit entfernt. Wegen seiner schwierigen Jugendzeit (Vater wegen Mordes im Gefängnis, Mutter zeitweise wegen Steuerhinterziehung ebenfalls inhaftiert und Ronnie auf sich allein gestellt) litt Ronnie jahrelang unter Depressionen, war alkohol- und drogenabhängig. Er macht verrückte Dinge am und abseits des Snookertisches, sorgt mit seinen Eskapaden immer wieder für Skandale. Er ist ein Mensch, der polarisiert. Ich glaube, genau deswegen lieben ihn die meisten Snookerfans auch so sehr. Seit er mit dem bekannten Sportpsychologen Dr. Steve Peters zusammenarbeitet, sind die Eskapaden weniger geworden und er hat sogar gelernt ein Match zu gewinnen, ohne sein bestes Snooker zu spielen. Wenn er seine Dämonen im Griff hat, dann kann ihn keiner schlagen. Steve Davis sagte über ihn, dass er mit dem Queue in der Hand geboren wurde.

Via VPN hatte ich mir einen Kanal zur Live Übertragung der BBC eingerichtet. So kam ich in den Genuss, den Live-Kommentaren der BBC-Experten zu lauschen und den spannenden Diskussionen von Steve Davis und Stephen Hendry in den Pausen zu folgen. Ich musste mich sehr konzentrieren, um das gesprochene Englisch, mal mit irischem, walisischem oder schottischem Einschlag zu verstehen. Das hielt die Entzugssymptome einigermaßen in Schach, zumindest solange ich Snooker schaute. Nebenbei tat ich etwas für mein eingerostetes Englisch (die Schotten verstand ich allerdings kaum). Die Ausdehnung praktizierte ich weiter, aber nicht mehr täglich. Irgendwann reicht es auch mal, man muss sich nicht täglich seinen Dämonen stellen. Ich glaube, sie waren froh, mal nicht von mir beobachtet zu werden!

24. April 2012
15 mg Diazepam–0-0–0,5 mg Tavor

Tagebuch:

Snooker WM
Runde 1 Session 1: Judd Trump vs Dominic Dale 10:7
Runde 1 Session 2: Ronnie O’Sullivan vs Peter Ebdon 10:4

Werte: Begeisterung, Faszination, Lebensfreude

27. April 2012
15 mg Diazepam–0–0-0,5 mg Tavor

Tagebuch:

Achtelfinale: Stephen Hendry vs John Higgins 13:4
Zunahme der Entzugssymptome, starke Beklemmung und kribbeln in Armen und Händen!

28. April 2012
15 mg Diazepam–0–0-0,5 mg Tavor

Tagebuch:

Achtelfinale: Ronnie O’Sullivan vs Mark Williams 13:6

Werte: Begeisterung, Faszination, Lebensfreude, Spannung

30. April 2012
15 mg Diazepam-0-0-0

Tagebuch:

Achtelfinale: Allister Carter vs Judd Trump 13:12 (Aufzeichnung)
starke Anspannung und Muskel-Verkrampfungen!

Werte: Begeisterung, Faszination, Lebensfreude, Spannung

01. Mai 2012
15 mg Diazepam-0-0-0

Tagebuch:

Viertelfinale: Stephen Maguire vs Stephen Hendry 13:2
Viertelfinale: Ronnie O’Sullivan vs Neil Robertson 13:10

Werte: Begeisterung, Faszination, Lebensfreude, Spannung

02. Mai 2012
15 mg Diazepam-0-0-0

Tagebuch:

Viertelfinale: Ronnie O’Sullivan vs Neil Robertson 13:10

03. Mai 2012
10 mg Diazepam-0-0-0

Tagebuch:

Mega-Krise!!! Starke Panik!!!!!
Halbfinale 1: Stephen Maguire vs Ali Carter 12:17
Halbfinale 2: Ronnie O’Sullivan vs Matthew Stevens 17:10

Werte: Begeisterung, Faszination, Lebensfreude

04. Mai 2012
10 mg Diazepam-0-0-0

Tagebuch:

Ganzen Tag Snooker geschaut, sehr angespannt! Heute Nacht träume ich bestimmt von bunten Bällen!

Halbfinale 1: Stephen Maguire vs Ali Carter 12:17
Halbfinale 2: Ronnie O’Sullivan vs Matthew Stevens 17:10
Halbfinale 1: Stephen Maguire vs Ali Carter 12:17

Werte: Begeisterung, Faszination, Lebensfreude

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