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Ein folgenschwerer Fehler
Nachdem Ärzte und Therapeuten, mit denen ich nach der Behandlung in der Psychiatrie zu tun hatte, immer wieder mit Unverständnis und Entsetzen auf die Vorgehensweise bei meinem Entzug von Tavor reagierten, wuchsen auch in mir die Zweifel, dass alles richtig gemacht wurde.
Deshalb wandte ich mich bald danach an die »Unabhängige Patientenberatungsstelle«. Diese riet mir zunächst, die Behandlungsunterlagen anzufordern und bot mir über einen Beratungsschein ein kostenloses Gespräch bei einer Fachanwältin für Medizinrecht an. Es kostete einiges an Arbeit und Zeit, um sich durch das schwer zu lesende Behandlungsprotokoll der Pflege zu arbeiten. Ich war fassungslos, wie schlampig das Protokoll geführt worden war, mal mit rotem, mal mit grünem Stift, teilweise sogar mit Bleistift, das führte beim Kopieren zu weiteren Qualitätsverlust. Ich fragte mich, ob es denn keine Vorschriften dafür gäbe, wie man ein solch wichtiges Protokoll zu führen hätte?
Im Folgenden finden Sie die beiden wichtigsten Unterlagen als Auszug. Der Aufnahmebericht, geschrieben von meiner Bezugstherapeutin und das Aufnahmeprotokoll, geschrieben von einer Pflegekraft während des Aufnahmegesprächs zwischen meiner Bezugstherapeutin und mir:
Aufnahmebericht der Bezugstherapeutin:
Herr H. erschien am heutigen Tage zur geplanten stationären Aufnahme. Herr H. habe sich bis 25.03.2011 in tagesklinischer Behandlung befunden und aufgrund der Zunahme der depressiven Symptomatik wurde eine stationäre Behandlung empfohlen und eingeleitet. Seit einem halben Jahr leide der Patient unter Albträumen, die ihn sehr beschäftigen und den Tod von Vater, Mutter und eigenen Tod beinhalten …
Herr H. gab an, beim Tod der Eltern selbst nicht mehr leben zu wollen. Aktuell keine erkennbare Suizidalität. Er nehme Paroxetin 50-0-0-0 mg und seit 2 Tagen Lorazepam 2 mg ein.
Zur psychischen Entlastung, medikamentösen Einstellung und Ressourcenaktivierung erfolgt die Aufnahme auf die Station.
Das Aufnahmeprotokoll geschrieben während des Aufnahmegesprächs von einer Pflegekraft weicht da in einem entscheidenden Punkt ab:
Aufnahmeprotokoll durch Pflegekraft
Patient kommt um 11:00 Uhr auf Station. Patient war bis letzte Woche Montag in der Tagesklinik. Herr H. habe seit einem halben Jahr Albträume, diese sind sehr realistisch, dadurch sei er sehr belastet, traurig u. verwirrt. Letzte Woche habe er geträumt sein Vater sei gestorben, aus diesem Grund habe er die TK Behandlung abgebrochen. Er habe seit diesem Traum sehr große Angst um seine Eltern, diese könnten plötzlich sterben …
Patient gibt an sich depressiv zu fühlen, nehme seit 2 Wochen Tavor ein.
Patient bekommt Zimmer gezeigt, Taschenkontrolle gelaufen. BE gelaufen.
Wie kann das sein?
Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man Tavor seit 2 Tagen oder seit 2 Wochen regelmäßig einnimmt. Nach 2 Tagen besteht noch keine Abhängigkeit, nach 2 Wochen dagegen ist dies sehr wahrscheinlich. Sollten meine Bezugstherapeutin, die leitende Psychologin sowie manche Pflegekraft davon ausgegangen sein, dass ich Tavor erst seit 2 Tagen nehmen würde, dann würde das erklären, warum es nicht fest angesetzt wurde. Aber selbst wenn diese Annahme bestanden hätte, dann wäre jederzeit die Möglichkeit gewesen, diesen Fehler zu korrigieren. Ich habe schließlich oft genug darauf hingewiesen, ich würde Tavor seit mehr als 14 Tagen nehmen. Man hätte lediglich das Aufnahmeprotokoll lesen müssen, indem meine korrekte Aussage stand.
Merkwürdig fand ich auch, dass manche Pflegekraft mir Tavor ohne zögern gab, wenn ich darum bat und andere nicht. Das dem Personal bewusst war, dass ich bereits bei Aufnahme auf die Station abhängig war, geht noch aus einem anderen Protokoll hervor, der Medikamentenkurve. Dort steht unter Diagnose:
rezidivierende Depression, Persönlichkeitsstörung, V. a. Benzodiazepinabhängigkeit
V. a. ist eine medizinische Abkürzung für »Verdacht auf«. Es wurde also zumindest eine Benzodiazepinabhängigkeit in Erwägung gezogen. Selbst bei einem Verdacht hätte meiner Meinung nach Tavor niemals abrupt abgesetzt werden dürfen. Das ist ein krasser Behandlungsfehler.
Ich versuche seit dem gegen die Klinik rechtlich vorzugehen. Die Kosten für die Behandlung der anhaltenden körperlichen und psychischen Entzugssymptome sind für mich als Sozialhilfeempfänger nur mit Hilfe meiner Eltern zu bezahlen. Mein Leben und das meiner Eltern wurde zerstört . Ein erster Versuch mit Hilfe meiner Anwältin einen Vergleich über 3.000 Euro zu erzielen wurde von der Klinik abgelehnt. Im Antwortschreiben der Klinik auf das Schreiben meiner Anwältin heißt es u. a.:
eine Bedarfsmedikation war nicht notwendig und wurde von Herrn H. nicht eingefordert
Außerdem warf man mir mangelnde Mitarbeit und Toleranz »unangenehme« Gefühle und körperliche Empfindungen aushalten zu können vor. Das Schreiben ist eine Beleidigung. Mit keinem Wort wird auf die begangenen Fehler eingegangen.
Die Verantwortung wird abgeschoben auf den Patienten, eine Entschuldigung habe ich bis heute nicht erhalten.
Es geht auch anders
2009 war ich für 8 Wochen in stationärer Behandlung in der psychosomatischen Klinik der Universität Mainz. Ich lernte dort in einer umfangreichen tiefenpsychologisch ausgerichteten Therapie mit meinen Gefühlen besser umzugehen, vor allem meinen Ärger sozial kompetent zu äußern.
Eine Woche lang funktionierte unsere Dusche nicht und wir mussten bei anderen Patienten duschen. Durch die Einführung neuer Speisewagen schmeckte das essen nach Plastik, das Plastik der Teller war teilweise geschmolzen, weil die Wagen zu heiß wurden. Wir waren deshalb alle ziemlich verärgert und aufgebracht, die Dusche wurde inzwischen von 8 Personen genutzt. Wir entschlossen uns dazu, dass dies jeder einzeln in der Visite ansprechen sollte, da bisher nichts unternommen wurde.
Ich blaffte deswegen den Chefarzt, der zufällig in der Visite dabei war ziemlich barsch an. Er hätte allen Grund gehabt mich auch anzublaffen, er konnte ja nichts für die Vorfälle. So wie ich ihn zur Schnecke gemacht hatte und das vor meiner Bezugspflege, meinem Therapeuten, den Oberärzten, die alle bei der Visite dabei waren, hätte ich mich nicht beschweren können, wenn er es getan hätte.Stattdessen sagte er ruhig zu mir:
»Herr H. ich sehe, Sie können endlich ihrem Ärger Luft machen und besser äußern, das finde ich gut.«
Im Nachhinein erfuhr ich von meiner Bezugspflege, dass ihn vor meiner Visite bereits zwei Personen auf die defekte Dusche und das Problem mit dem Essen deutlich und mit Nachdruck hingewiesen hätten und danach noch zwei weitere Patienten. Der arme Mann! Und trotzdem ist er mir gegenüber nicht mal laut geworden und hat mir das Gefühl vermittelt, Verständnis für mich und meine Situation zu haben.
Die Dusche wurde dann übrigens am nächsten Tag repariert. Ich hatte auch ein sehr schlechtes Gewissen gegenüber meiner Bezugspflege, weil ich diese ebenfalls angeblafft hatte. In einem Gespräch teilte sie mir mit, dass sie das gut gefunden hätte und ich endlich authentisch wäre.
Das hat mir sehr geholfen, den Mut zu finden, auch zukünftig meine Meinung kritisch zu äußern und der ganze Aufenthalt dort hat mich einen großen Schritt weitergebracht.