Die Krise verschärft sich

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Die Krise verschärft sich

Montag, 21. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 150 mg Quetiapin | 0-1-0-0 mg Tavor 1

Nach einem schlimmen Wochenende, das ich nur mit der Einnahme von Tavor einigermaßen überstand, hatte ich am Montag ein Einzelgespräch mit meiner Therapeutin. Ich sprach mit ihr über die Krise vom Wochenende und das ich Suizidgedanken gehabt hätte.

Ich sagte zu ihr: »Ich glaube, ich schaffe das hier nicht mehr, vielleicht muss ich auf die Station!«

Sie antworte mir: »Das können Sie natürlich tun, nur glaube ich, dass es Ihnen dort auch nicht besser gehen wird. Ich halte es für wichtig, dass Sie gedanklich mehr in der Gegenwart bleiben und dass wir an Ihren Perspektiven arbeiten.«

Ich zögerte, war unsicher, was ich sagen sollte. Schließlich sagte ich zur ihr: »Also gut, ich probiere es weiter in der Tagesklinik.«

© Markus Hüfner, Dezember 2009 | »Depression« | zum Vergrößern auf das Bild klicken

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Nach dem Gespräch ging es mir noch mieser. Ich wollte doch bloß, dass das endlich aufhörte und ich nichts mehr fühlen musste. Ich hatte die Vorstellung auf der Station würde es mir bestimmt besser gehen, die könnten dort mehr machen und ich müsste nicht weiter so leiden. Ich glaubte, die würden mich mit Tavor ruhigstellen und ich würde nichts mehr mitbekommen. Das war eine ziemlich naive Vorstellung. Nach dem Gespräch bekam ich Panik, wie sollte ich nur in diesem Zustand an meinen Perspektiven arbeiten? Was für Perspektiven gab es überhaupt? Ich sah nur in einen tiefen schwarzen Abgrund. Als die Panik kam und sich wieder dieser Panzer um meine Brust bildete, nahm ich noch in der Tagesklinik eine Tavor.

Gegen die innere Unruhe und starken Ängste (so wird es im Protokoll begründet) wurde mir zusätzlich Promethazin als Bedarf verschrieben mit 4 x 25 mg. Promethazin ist ein weiteres atyptisches Neuroleptikum, allerdings hat es keine angstlösende Wirkung sondern eine muskelrelaxierende und macht extrem müde, genauso wie das Quetiapin auch. Beides hätte man nicht verordnen müssen. Die einzige Medikamentengruppe, die wirklich angstlösend wirkt sind die Benzodiazepine, wie das Tavor (Lorazepam), das ich nun immer öfter einnahm.

Ich kann nur vermuten, dass man die Neuroleptika verordnet hatte, weil sie im Gegensatz zu den Benzodiazepinen nicht abhängig machen (ein weiterer Irrtum der Psychiatrie) und hoffte, dass ich durch die starke Müdigkeit und Sedierung sowie die extreme Muskelentspannung, die Angst nicht mehr spürte (tatsächlich fühlt man sich wie ein umherwandelnder Zombie, jede Bewegung fällt schwer. Die extreme Müdigkeit führt allerdings nicht unbedingt dazu, dass man einschläft). Neuroleptika gegen Ängste und Unruhe einzusetzen ist sehr umstritten, vor allem weil diese Medikamente auch starke Nebenwirkungen haben und schwere gesundheitliche Folgeschäden verursachen können und im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung in der Psychiatrie, auch abhängig machen können, vor allem, wenn man sie längere Zeit einnimmt (mehr dazu im Kapitel »Die Psychiatrie-Drehtür«).

Tagebuch:

Ergotherapie: Bild gemalen, Mittagessen im Bistro obwohl es mir schlecht geht. Schweres Tief am Nachmittag nach dem Einzelgespräch mit meiner Therapeutin, noch in der Tagesklinik Tavor genommen.

Werte: Kreativität, Selbstbestätigung, Genuss.

Ärztlicher Verlaufsbericht:

Er sei in sehr schlechter Stimmung, grüble über den Gedanken, was ist, wenn die Eltern mal nicht mehr leben. Hat Verlustängste und starke Schuldgefühle den Eltern gegenüber. Am WE habe er phasenweise auch Suizidgedanken ohne konkrete Handlungsplanung gehabt. Nach Einnahme von je 1 mg Lorazepam (Tavor) pro Tag sei dies gebessert gewesen. Heute bislang keine Suizidgedanken. Es wurde erklärt, dass es wichtig sei, gedanklich mehr in der Gegenwart zu bleiben und parallel dann wieder an Perspektiven für ihn zu arbeiten.

Da er sich heute wenig belastbar fühlt wurde, besprochen, dass Herr H. heute Abend ggf. Lorazepam nimmt. Stationärer Aufenthalt derzeit noch nicht nötig. Wird als Option aber offengehalten bei weiterer Verschlechterung. Akute Suizidalität war nicht erkennbar.

Wenn der Abgrund kein Ende hat.

22.–23. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 150 mg Quetiapin | 0-1-0-0 mg Tavor

Die nächsten zwei Tage blieb ich zu Hause, nahm Tavor und lenkte mich durch exzessives PC-Spielen ab. Ich fühlte mich wie ein verängstigtes und bedrohtes Tier in die Ecke gedrängt, wusste nicht, was ich machen sollte. Ich hatte das Gefühl in der Tagesklinik nicht mehr weiter zu kommen. Ich rief an und meldete mich krank. Ich schaffte es einfach nicht mehr dort hinzugehen. Ich teilte erneut mit, dass ich überlege, auf die Station zu gehen.

Ärztlicher Verlaufsbericht:

Dienstag, 22. März 2011

Anruf: Herr H. berichtet erneut sehr schlecht geschlafen zu haben, habe sich für die stationäre Aufnahme entschieden, möchte morgen in TK kommen u. Gespräch mit Therapeutin. Nimmt heute noch Tavor ein. Keine akute Suizidalität erkennbar.

Mittwoch, 23. März 2011

Anruf: Herr H habe sich nun doch gegen eine stationäre Aufnahme entschieden, fühle sich noch schlecht, möchte aber vorerst weiter tagesklinisch behandelt werden. Nehme heute Tavor, möchte morgen wieder erscheinen. Akute Suizidalität war nicht erkennbar.

Donnerstag, 24. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 150 mg Quetiapin | 1-0-0-0 mg Tavor

Tagebuch:

Tagesklinik, obwohl es mir scheiße geht! Einzelgespräch mit Therapeutin.

Ärztlicher Verlaufsbericht:

Gespräch: Herr H. berichtet von starker Niedergeschlagenheit und starken Gefühlen, die er momentan gar nicht näher differenzieren könne. Es werden Strategien für verschiedene Anspannungsbereiche und Spannungszustände besprochen. Akute Suizidalität ist nicht erkennbar. Er möchte nicht stationär aufgenommen werden, sondern hat sich für die Fortführung der Tagesklinik entschieden. Hinsichtlich Lorazepam hat er Angst vor psychischer Abhängigkeit. Zunächst weiter als Bedarf. Wird mit Oberarzt abgeklärt.

Freitag, 25. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 200 mg Quetiapin | 1-0-0-0 mg Tavor

Ärztlicher Verlaufsbericht:

Kurzes Einzelgespräch: Habe eine Tablette Lorazepam genommen, von daher ginge es ihm besser als heute Morgen. Reagiere auf Themen Krankheit, Tod hypersensibel, halte Kontakt zu den Eltern kaum aus wegen der Einengung auf die Angst, dass diese sterben (irgendwann). Notfallplan noch mal durchgesprochen. Akute Suizidalität nicht erkennbar.

26.–29. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 200 mg Quetiapin | 1,5-0-0-0 mg Tavor | 100 mg Promethazin

Tagebuch:

Krise hält an, Tavor durchgehend genommen. Keine Eintragungen.

Mittwoch, 30. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 200 mg Quetiapin | 2-0-0-0 mg Tavor

Ärztlicher Verlaufsbericht:

Telefonanruf Hr. H.. Er wolle aus TK entlassen werde, schaffe es nicht mehr hierher zu kommen. Habe depr. Stimmung, Ängste, Panik, innere Zerrissenheit und halte diesen Zustand nur durch Einnahme von Lorazepam aus. Akute Suizidalität besteht nicht. Stationäre Aufnahme wird geplant.

31. März–04. April 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 200 mg Quetiapin | 2-0-0-0 mg Tavor

Tagebuch:

Schwere Krise, keine Eintragungen

Fussnoten:
1. Paroxetin: SSRI-Antidepressivum, Quetiapin (Seroquel Prolong): Atypisches Neuroleptikum, Tavor (Lorazepam): Benzodiazepin

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