Die Albträume kehren zurück

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Die Albträume kehren zurück

Mittwoch, 17. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 150 mg Quetiapin 1

Die Albträume kehrten zurück und machten mein Leben wieder zur Hölle. Tags zuvor hatte man das Mirtazapin abgesetzt und Quetiapin angesetzt. Außerdem wurde an diesem Tag Paroxetin von 60 auf 50 mg reduziert, da ich Schwierigkeiten hatte meine Blase vollständig zu entleeren. Ich war deswegen beim Urologen gewesen und der teilte mir mit, dass das eine häufige Nebenwirkung von Paroxetin sein kann.

Ich weiß nicht, ob es an den Medikamentenumstellungen lag, dass die Albträume wieder zurückkamen, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist ziemlich hoch. Ein Psychopharmaka von einen auf den anderen Tag abzusetzen und ein anderes neu anzusetzen oder eine Dosisreduzierung vorzunehmen, führt sehr häufig zu heftigen Absetzsymptomen. Paroxetin z.B. hat, wie ich später erfuhr eine extrem kurze Halbwertszeit (24 Stunden), so dass selbst bei einer geringen Reduzierung der Dosis heftige Absetzsymptome auftreten können und dazu zählen auch abnormale Träume (wie es im Beipackzettel von Paroxetin lapidar heißt).

Auf jeden Fall hatte ich in der Nacht vom 16. auf den 17. so gegen 05:00 Uhr morgens einen ziemlich heftigen Albtraum über meinen eigenen Tod. Dieser war anders, gewaltsamer, brutaler und plastischer. Außerdem wachte ich auf und sank mehrmals wieder in den Traum zurück, ohne mich daraus befreien zu können. Am nächsten Morgen war ich so fertig, als ob ich eine Schlacht in einem besonders grausamen Krieg geschlagen hätte. Ich ging in die Tagesklinik, obwohl es mir ziemmlich beschissen ging und bat um ein Gespräch bei meiner Therapeutin. Leider gab es an diesem Tag einen schrecklichen Zwischenfall, so dass ein Gespräch nicht möglich war.

An diesem Tag hatte sich für mich etwas grundlegend in meinem Bewusstsein geändert.

Kennen Sie das? Wenn es Ihnen erst mal so richtig schlecht geht, dann klebt Ihnen auch noch das Unglück an den Füssen und Sie fallen in jedes Loch, das sich Ihnen bietet. Wäre ich an diesem Tag doch bloß zu Hause geblieben. Da ich aber nicht schon wieder fehlen wollte, zwang ich mich dazu in die Tagesklinik zu gehen.

Wir hatten vor einigen Tagen einen Neuzugang, der von der Station kam. Er sagte immer wieder, dass er es hier nicht aushalten würde und lieber wieder auf die Station zurückgehen wollte. Er fühlte sich nicht sicher. Nachdem man ihm mitgeteilt hatte, dass die Behandlung auf der Station abgeschlossen wäre und er jetzt hier sei, schnitt er sich in einem Nebenraum unbemerkt von allen anderen die Pulsadern auf. Ein Mitpatient fand ihn gerade noch rechtzeitig und verhinderte damit Schlimmeres. Ich schätze, er wollte sich nicht wirklich das Leben nehmen. Er wollte nur wieder zurück auf die Station, weil er sich dort am sichersten fühlte. Als ihm klar wurde, dass man ihn nicht wieder dahin lassen würde, sorgte er in seiner Verzweiflung selbst dafür.

Für uns war das ein furchtbarer Moment. Wir machten uns alle große Sorgen um ihn und bei einigen führte dieses Erlebnis zu einer Krise, so auch bei mir.

An diesem Tag hatte sich für mich etwas grundlegend in meinem Bewusstsein geändert. Suizidgedanken hatte ich auch früher gehabt, aber mir war immer klar, dass ich es niemals tun würde. Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher, ich hatte gerade erlebt, wie es ein Mensch in größter Verzweiflung kurz entschlossen getan hatte. Keiner von uns hatte damit gerechnet. Mir wurde bewusst, dass es vom Gedanken zur Tat gar nicht so weit war, wie ich bisher gedacht hatte und das machte mir furchtbare Angst.

Könnte ich auch dazu in der Lage sein? Könnte es mir so schlecht gehen, meine Verzweiflung so groß sein, dass es mir als der einzige Ausweg erscheinen könnte?

Die Albträume, die bisher nur Albträume waren, bekamen auf einmal eine ganz andere Bedeutung für mich. Sie begannen mein Leben ernsthaft zu bedrohen. »Wenn ich diese Albträume nur oft genug hätte«, so mein Gedanke, »dann wäre ich vielleicht tatsächlich irgendwann dazu in der Lage, dass was ich im Traum erlebte, tatsächlich in die Tat umzusetzen.« Zu diesem Zeitpunkt erschien mir das so realistisch, dass ich in der Einnahme von Tavor den einzigen Ausweg sah weiterzuleben.

Tagebuch:

In die Tagesklinik gegangen, obwohl es mir nicht gut geht, um ein Gespräch bei meiner Therapeutin gebeten, war wegen eines Notfalls bisher nicht möglich. Mittagessen im Bistro, obwohl es mir nicht gut geht

Werte: Genuss.

Vom Bewusstsein ins Unterbewusstsein

Freitag, 18. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 150 mg Quetiapin | 1-0-0-0 mg Tavor

Als ob mein Unterbewusstsein mir dies bestätigen wollte, hatte ich noch in der gleichen Nacht einen meiner schlimmsten Albträume über den Tod meines Vaters und meinen eigenen Suizid. Ich sah mich in einer Badewanne liegen, das Wasser verfärbte sich langsam blassrot und eine blutverschmierte Rasierklinge lag auf dem Rand der Badewanne. Ich schrak schweißgebadet auf und schrie laut »NEIIIIIIIIN!« Ich brauchte eine ganze Zeit, bis ich realisiert hatte, dass es nur ein Traum gewesen war. Ich hatte aber sofort starke Schmerzen in der Brust und konnte nur schwer atmen. Mein Herz hämmerte bis zur Schädeldecke. Ich nahm sofort eine Tavor und wartete, dass die Panik zurückging.

Behandlungsprotokoll:

Herr H. ruft um 09:00 Uhr an, er habe das neu angesetzte Quetiapin nicht vertragen, habe Albträume gehabt, kaum geschlafen, sei unruhig. Habe daher morgens 1 x Tavor genommen, dadurch Besserung. Bleibt zu Hause, hat noch ausreichend Bedarfsmedikation, kommt Montag wieder, meldet sich bei Verschlechterung bei AvD (Arzt vom Dienst). Keine akute Suizidalität erkennbar.

19.–20. März 2011
Medikation: 50 mg Paroxetin | 150 mg Quetiapin | 1-0-0-0 mg Tavor

Tagebuch:

Megakrise, Tavor zum Betäuben, keine Eintragung.

Fussnoten:
1. Paroxetin: SSRI-Antidepressivum, Mirtazapin: Tetrazyklisches Antidepressivum (älteres Antidepressivum), Quetiapin (Seroquel Prolong): Atypisches »Neuroleptikum«, Tavor (Lorazepam): Benzodiazepin

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