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Rückschlag
» Ein Rückschlag ist die Vorbereitung auf einen zukünftigen Erfolg. «Gilmore Girls (US-TV-Serie)
19. Juli 2011
1-0-0-0 mg Tavor
An das, was die nächsten Tage geschah, kann ich mich nur noch vage erinnern, da ich nicht mehr dazu fähig war mein Tagebuch weiter zu führen. Aus dem Behandlungsprotokoll der Tagesklinik konnte ich es aber einigermaßen rekonstruieren.
Seit der Chefarztvisite fiel ich wieder in ein tiefes dunkles Loch, das wie immer bodenlos schien. Ich kam mir dabei wie ein Tiefseetaucher oder Höhlenforscher vor, der in Regionen vordrang, in denen zuvor noch niemand gewesen war. Ich wünschte mir, es gäbe da unten so eine Art Gästebuch, in das sich alle eintragen, die schon mal dort waren, dann hätte ich vielleicht wenigstens nicht mehr das unerträgliche Gefühl gehabt, der Einzige zu sein, der in diesem tiefen finsteren Loch festsaß und fürchte, dort nie wieder rauszukommen. Eine Kerze mit Streichhölzern wäre ganz schön gewesen, um ein wenig Licht zum Schreiben zu haben und damit die Hoffnung, dort wieder rauszukommen nicht erlischt.
Das erinnert mich an eine Geschichte aus meiner Lieblingsserie »Mr. Monk«, mit dem genialen, aber »defekten« Detektiv Adrian Monk. Dieser befragt einen Zen-Meister bei einer Mordermittlung.1 Während der Befragung legt der Zen-Meister sanft seine Hand auf das Herz von Mr. Monk und sagt:
»Ich spüre eine gequälte Seele. Sie sind auf der Suche Mr. Monk!«
»Das ist wahr!«
»Sie leben an einem sehr dunklen Ort. Die Dunkelheit ist Ihre Furcht!«
Er hält kurz inne und holt dann eine Kerze und ein Streichholz und sagt: »Das ist ein Geschenk für Sie. Das Licht ist Ihre Waffe, Mr. Monk.
Seien Sie das Licht!«
Der Druck eine Tavor zu nehmen wurde von Tag zu Tag größer und es viel mir immer schwerer gegen dieses Verlangen anzukämpfen. Das Atosil half gar nicht, es machte lediglich müde, an der Angst und Panik änderte sich dadurch aber nichts. Durch das exzessive PC-Spielen zur Ablenkung, nahmen die Entzugssymptome wieder zu, vor allem die Anspannung, Unruhe und das Kribbeln im ganzen Körper. Es folgten mehrere heftige Albträume und schweißgebadetes Erwachen mit hämmernden Herzen, Kribbeln im ganzen Körper und Panik. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll davon und nahm eine Tavor. Ein Gefühl von Ruhe und Frieden, von vollkommener Ruhe und Frieden stellte sich ein, zumindest für ein paar Stunden.
Dieser Rückfall führte schließlich am 27. Juli 2011 zur Entlassung aus der Tagesklinik auf eigenem Wunsch. Ich hatte nicht mehr das nötige Vertrauen, um die Behandlung fortzuführen. Die Therapie half mir nicht mehr, ich brauchte neue Impulse und beschloss meine Suche nach einer ambulanten ACT-Therapie zu intensivieren.
19. Juli 2011
1-0-0-0 mg Tavor
Tagebuch:
Rückfall!!! Tavor genommen, schaffe es nicht in die TK
Behandlungsprotokoll:
Herr H. ist heute nicht anwesend, Mutter hat angerufen, dass er heute zu Hause bleibt.
20. Juli 2011
0-0-0-0 mg Tavor
Behandlungsprotokoll:
Herr H. meldet sich am Morgen telefonisch in der TK und gibt an, dass es ihm sehr schlecht gehe, wolle zur Visite in die TK kommen.
Oberarztvisite: Herr H. berichtet, dass es ihm seit der CA-Visite letzte Woche schlecht gehe, es seien seitdem wieder Erinnerungen an die Vergangenheit aufgekommen. Dadurch fühle er sich wie ein Tier im Käfig, das in die Enge getrieben wird. Lenkt sich kurzfristig durch Computer spielen ab, keine langfristigen Strategien. Weiterhin katastrophierende Gedanken, dass die Eltern sterben könnten fühlt sich nicht in der Lage für sich selbst zu sorgen und hat Angst vor dem Alleinsein. Habe niemanden außer seinen Eltern. Kein soziales Netz, keine Freunde, was er gerne ändern würde jedoch bisher ohne Erfolg. Herr H. hat eine eher negative Denkweise.
Ärztlicher Verlaufsbericht: Seit letzter Visite gehe es ihm sehr schlecht. Beklemmungsgefühle, Druck in der Brust, Panik. Hat wieder starke Angst vor Tod des Vaters, dass der Vater Pflegefall werden könnte. Habe sich gestern von morgens bis abends mit PC spielen beschäftigt. Habe Angst, ohne Eltern hilflos zu sein, keine Bleibe mehr zu haben. Mutter habe ihn beispielsweise in den letzten beiden Tagen mit Essen versorgt. Er habe Angst, sich ohne Eltern allein und überfordert zu fühlen. Habe außer den Eltern niemanden. Toleranz, Gefühle und Angst auszuhalten ist sehr gering ausgeprägt. Hat deutliche Katastrophisierungsgedanken, ist rigide im Denken. Strategien wie Selbstermutigung werden besprochen. Akute Suizidalität ist nicht erkennbar. Herr H. geht nach OA-Visite früher nach Hause.
21. Juli 2011
0-0-0-0 mg Tavor
Behandlungsprotokoll:
Mutter von Herr H. meldet ihn telefonisch für heute krank. Herr H. ginge es so schlecht, dass er nicht selbstständig in der TK anrufen könne. Therapeutin informiert.
22. Juli 2011
1-0-1-0 mg Tavor
Behandlungsprotokoll:
Herr H. kommt heute nicht und nimmt auch telefonisch keinen Kontakt auf. Therapeutin wurde informiert.
Ärztlicher Verlaufsbericht: Herr H. war heute auch nicht in TK. Anruf meinerseits um 13:30 Uhr auf Handy u. Festnetz. Herr H. ging nicht ans Telefon. Rücksprache CA: Da im letzten Kontakt in der OA-Visite keine Hinweise auf akute Suizidalität bestanden, wird auf Einleitung einer Fahndung verzichtet. AVD ist informiert, dass bei Kontaktaufnahme Herr H. bei akuter Suizidalität stationäre Aufnahme erfolgen sollte, bei fehlenden Gefährdungsaspekten aber keine stationäre Behandlung erfolgen sollte.
Aktuell ist aufgrund des Problemverhaltens mit ausgeprägter Passivität die Veränderungsmotivation sehr fraglich.
25. Juli 2011
0-0-0-0 mg Tavor
Behandlungsprotokoll:
Herr H. hat sich heute früh telefonisch gemeldet, mit Therapeutin gesprochen (siehe therapeutische Verlaufsbericht)
Ärztlicher Verlaufsbericht: Herr H. kommt am Morgen nicht in TK, ruft aber an. Am WE habe er wieder ein so starkes Beklemmungsgefühl gehabt, dass er am Fr. 2x Lorazepam, am Samstag 2 x Atosil und dann So. wieder 2x Lorazepam genommen habe. Mit den Eltern sei die Situation sehr verfahren, diesen gehe es mittlerweile auch schlecht. Akute Suizidalität besteht nicht. Herr H. möchte heute noch in TK kommen, um an Depressionsgruppe teilnehmen. Angehörigengespräch soll stattfinden, morgen Einzelgespräch.
26. Juli 2011
0-0-0-0 mg Tavor
Behandlungsprotokoll:
Herr H. ist heute nicht anwesend, er hat telefonisch mit Therapeutin gesprochen (siehe therapeutische Verlaufsprotokoll)
27. Juli 2011
0-0-0-0 mg Tavor
Behandlungsprotokoll:
Herr H. kam heute zur OA-Visite gegen 09:30 Uhr in TK an.
Ärztlicher Verlaufsbericht: Es gehe ihm sehr schlecht, habe in den letzten Tagen mehrere Zusammenbrüche gehabt, starke Anspannung und innerer Druck. Er habe in der Rehaklinik zwecks früherer Aufnahme angerufen, habe auch in Akut-Psychosomatik angerufen in F., habe dort morgen ein Vorgespräch. Ohne Tavor komme er gar nicht mehr zurecht. Atosil helfe ihm nicht ausreichend (bisher 3 x 25 mg). Erhöhung der Atosil-Einnahme auf 100 mg Einzeldosis wird ihm nahegelegt.
Am Freitag hat er Vorgespräch zwecks ambulanter Psychotherapie. Es wird besprochen, dass Herr H. sich heute aus der TK entlassen lässt, da Behandlung hier momentan keine Fortschritte bringt. Er kann weiter in PIA behandelt werden und wird dort morgen zwecks Rezeptverordnung vorbeikommen. Akute Suizidalität ist nicht erkennbar.