Irrwege und Irrtümer

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Irrwege und Irrtümer

28. Juli 2011
1-0 -0-0 mg Tavor

Da ich auf keinen Fall mehr stationär in der Psychiatrie aufgenommen werden wollte, hatte ich mich darum bemüht einen Termin für ein Vorgespräch zur teilstationären Aufnahme in einer Klinik für Psychosomatik in der Nähe zu bekommen. Im Gespräch teilte mir die leitende Ärztin mit, dass ich erst aufgenommen werden würde, wenn ich keine Benzodiazepine mehr nehmen würde. Na toll!!!

02.–04. August 2011
1- 0-0-0 mg Tavor

Ich nahm erneut mit der Tagesklinik Kontakt auf und bat um Aufnahme. Vom 02.08. – 04.08.11 hatte ich dort ein kurzes »Zwischenspiel« ehe ich entlassen wurde. Man teilte mir mit, der »Medizinische Dienst der Krankenkassen« hätte angerufen und mitgeteilt, eine Finanzierung eines Entzuges im teilstationären Setting sei nicht möglich.

Behandlungsprotokoll:

Er gab an, sich um eine Akutaufnahme in der Klinik für Psychosomatik am Klinikum F. bemühen zu wollen. Nachdem Herr H. dort in einem Vorgespräch am 28.07.2011 mitgeteilt bekommen hatte, dass er mit aktivem Gebrauch von Benzodiazepinen nicht aufgenommen werde, hatte Herr H. erneut Kontakt zu uns hergestellt und wurde am 02.08.2011 wieder tagesklinisch aufgenommen, mit dem Ziel, im tagesklinischen Setting den Lorazepam-Konsum wieder zu reduzieren. Er gab an, zwischenzeitlich täglich 2,5 mg Lorazepam eingenommen zu haben. Am Vortag der Aufnahme habe er Lorazepam bereits auf 2 mg reduziert.

Es wurde mit ihm eine Umstellung auf 10 mg Diazepam besprochen unter Fortführung der bekannten Medikation mit 50 mg Paroxetin (SSRI-Antidepressivum), 50 mg Doxepin (älteres trizyklisches Antidepressivum) und 20 mg Pantoprazol. Bereits am zweiten Behandlungstag nahm Herr H. erneut Lorazepam zuhause ein, da er Entzugserscheinungen in Form von Kälteschauern und Zittern bemerkt und nicht habe tolerieren können. Nachdem es danach nochmals zur zusätzlichen Einnahme von Lorazepam kam, empfahlen wir Herrn H. erneut eine Entgiftung unter stationären Bedingungen.

Da zeitgleich seitens des MDK übermittelt wurde, dass eine Entgiftungsbehandlung nur unter stationären Bedingungen finanziert werde, besprachen wir mit Herrn H. die Entlassung für den 04.08.2011 . Herr H. konnte sich zum Entlasszeitpunkt eine stationäre Entgiftungsbehandlung nicht vorstellen. Es wurde daher die Fortführung der Behandlung in unserer psychiatrischen Institutsambulanz besprochen. Herr H. plante bei Entlassung weiterhin den Beginn einer stationären Rehabilitationsbehandlung in der Klinik Alpenblick in lsny, wo ihm ein Aufnahmetermin im September 2011 in Aussicht gestellt wurde, und den Beginn einer ambulanten Psychotherapie.

05. August–07. September 2011
2 mg Tavor täglich

Ich fühlte mich immer mehr umhergeschubst, es schien einfach keine Möglichkeit zu geben, einen erneuten Entzug nicht stationär in einer Psychiatrie zu machen. Ich wollte auf gar keinen Fall mehr in eine Psychiatrie, mein Vertrauen in diese Institution war vollkommen weg. Ich hatte Panik wieder so ein Trauma zu erleben. Ich hatte seit dem auch öfters Albträume über den Entzug in der Psychiatrie gehabt, die sehr intensiv waren und real schienen. Ich lag in einem Bett vollständig fixiert und schrie um Hilfe, dass man mir helfen solle, dass ich das nicht mehr ertragen würde und etwas zur Beruhigung haben wolle. Um das Bett herum standen Ärzte, Therapeuten und Pfleger und sagten Mantra mäßig »Das müssen Sie aushalten!« Ich versuchte mich loszureißen und wurde entweder durch einen lauten Schrei von mir oder weil ich beim Losreißen tatsächlich aus dem Bett gefallen war, wach! Niemals wollte ich das erleben!

Ich setzte meine ganze Hoffnung auf die Reha in der psychosomatischen Klinik. Leider war auch das ein Irrtum!

08. September 2011
0,5 Tavor–5 mg Diazepam–10 mg Diazepam-10 mg Diazepam

Ich hatte bereits vor Antritt der Reha ein telefonisches Vorgespräch, in dem ich mit einem Oberarzt darüber sprach, ob ein Entzug angeboten würde? Man versicherte mir, dass dies kein Problem sei und man einen solchen Entzug schon des Öfteren erfolgreich durchgeführt hätte. Ich war einigermaßen beruhigt und sagte der Aufnahme zu. Außerdem hatte ich einen Bereitschafts- und Aktionsplan angelegt und meine Ziele für die erste Woche in der Reha festgelegt. Dummerweise war die Anreise freitags, das hieß ich musste das ganze Wochenende durchhalten, bis montags überhaupt die Therapien begannen. Das machte mir einige Sorgen, eine Verlegung der Anreise war aber leider nicht mehr möglich.

Nach einer sehr langen Autofahrt, kamen wir in Isny im Allgäu an. Die Klinik war sehr modern und hatte ein angenehmes Ambiente, allerdings war sie auch sehr groß. Schon der Weg zu meinem Zimmer führte über einen endlos langen Gang und mehrere Etagen. Hier würde ich mich bestimmt verlaufen. Nach dem Aufnahmegespräch mit der Ärztin, gab es am Abend eine Einführung in den Speisesaal für alle Neuankömmlinge. Trotz großer Angst betrat ich den Speisesaal, der groß und brechend voll war. Lautes Stimmengewirr und umher wuselnde Bedienungen. Schließlich führte mich eine von ihnen zu meinem Platz. Ich lernte meine Tischnachbarn kennen und nach dem Abendessen gab es noch eine Rundführung durch die Klinik.

Danach zog ich mich auf mein Zimmer zurück. Ich hatte die Dosis von Tavor in den letzten Wochen von 2 mg auf 0,5 mg reduziert. Bis dahin war das ausreichend gewesen, aber für diese extreme Situation, den Stress, die Angst in der neuen, fremden Umgebung und die üblichen jetzt panikartigen sozialen Ängste, war das nicht ausreichend. Zum Glück hatte ich als Bedarfsmedikation noch 50 mg Promethazin (ein Neuroleptikum) erhalten, das half, irgendwann schlief ich trotz Panik ein.

Tagebuch:

Erster Tag Psychosomatik Isny, Autofahrt durch Musikhören gut überstanden, Aufnahmegespräch mit Ärztin, sehr sympathisch. Einführung Speisesaal für alle neuen Patienten. Trotz Angst zum Abendessen gegangen u. mich mit den Mitpatienten an meinem Tisch unterhalten. Anschließende Rundführung durch die Klinik.

Wochenziele:

  • Bis Montag durchhalten
  • Kontakte eingehen
  • An Therapien teilnehmen
  • In den Speisesaal gehen

Mit Panik auf mein Zimmer, fühle mich alleine, hilflos, alles so groß, anonym, so viele Menschen, endlose lange Gänge, Angst und Panik, wie soll ich schlafen? Wie soll ich das nur alles schaffen, ich kann doch nicht schon wieder abbrechen, das ist meine letzte Chance, kann meine Eltern nicht schon wieder enttäuschen, die überleben das nicht. Druck und Enge in der Brust, mit 50 mg Atosil zusätzlich eingeschlafen.

Ich merkte, wie mein »Kopfkino« die Kontrolle übernahm und ich keinen Zugriff mehr auf die Entschärfungstechniken hatte!

09. September 2011
10-0-0-0 mg Diazepam (vermutlich) | 50 mg Promethazin

Am nächsten Morgen quälte ich mich über den schier endlosen Gang von meinem Zimmer bis zum Speisesaal, natürlich verlief ich mich gleich mehrmals, fand aber den Speisesaal doch noch, dank mehrmaligen Nachfragens. Der lange Weg hatte allerdings die Panik schon wieder bedenklich ansteigen lassen. Trotzdem schaffte ich es sowohl zum Frühstück, als auch zum Mittagessen in den Speisesaal. Das war schon mal ein erster Erfolg. Ich unterhielt mich trotz großer Anspannung mit meinen Tischnachbarn, d.h. es war nur eine anwesend, die anderen waren schon unterwegs zu ihren Therapien.

Nach dem Mittagessen war die Aufnahmeuntersuchung und ein weiteres Gespräch mit der Ärztin. Sie erklärte mir, dass Tavor ab sofort abgesetzt würde und durch die entsprechende Menge Diazepam ersetzt würde. Diazepam sollte dann innerhalb weniger Tage ebenfalls ganz abgesetzt werden. Dafür bekäme ich es als Tropfen in einem Fruchtsaft. Man würde mir allerdings nicht sagen, wann der Fruchtsaft kein Diazepam mehr enthalten würde. Das Gehirn sollte sich über den Fruchtsaft neu konditionieren, so dass es denken würde, jedes Mal wenn ich diesen Fruchtsaft tränke, bekäme es Diazepam. Ich war sehr skeptisch, ob das funktionieren würde, vor allem weil es schon wieder viel zu schnell ging und man das Diazepam deutlich aus dem Fruchtsaft herausschmeckte. Ich hatte gedacht, ich hätte erst mal Zeit richtig anzukommen, soziale Kontakte zu festigen und mich einzuleben, und das man das Diazepam dann tropfenweise innerhalb von 14 Tagen absetzen würde. Dann hätte ich immer noch mehr als 3 Wochen Therapien gehabt und wäre durch das schlimmste, das Wochenende und die erste Therapiewoche durch gewesen. Ich fühlte mich schon wieder unter Druck gesetzt!

Am Nachmittag schaute ich mich im Ort ein wenig um und setzte mich vor ein Café, aß Kuchen und las in einem Buch. Manchmal braucht es nur einen kleinen Trigger für eine heftige Panikattacke. Eben war es noch erträglich, plötzlich nicht mehr auszuhalten. Im Buch, einem amerikanischen Spionageroman, war gerade der Vater des Protagonisten auf tragische Weise verstorben. Ich konnte mich in die Situation gut hineinversetzen, die Bilder aus meinen Albträumen drängten an die Oberfläche, in denen mein Vater sterben und ich Suizid begehen würde. Ich setzte die Entschärfungstechniken aus ACT ein, aber das funktionierte nicht, ich bekam keinen Abstand zu meinen Gedanken, den Bildern und den daraus resultierenden Panikgefühlen und Körperempfindungen, Druck und Enge in der Brust, Atemnot, Beklemmung, alles zog sich zusammen, der ganze Körper schien zu zittern und eisige Kälteschauer durchfluteten den Körper und das mitten im Sommer bei angenehmen 25 Grad! Ich merkte, wie mein »Kopfkino« die Kontrolle übernahm und ich keinen Zugriff mehr auf die Entschärfungstechniken hatte! Ich musste da raus und zwar sofort! Hektisch bezahlte ich und ging zurück auf mein Zimmer. Ich versuchte mich abzulenken, noch mal Entschärfung anzuwenden. Ich versuchte im Buch von Russ Harris zu erfahren, was man tun könne, wenn Entschärfung nicht funktionierte. Das brachte mich zum Kapitel über »Ausdehnung«.

Da stand was von Raum schaffen für die unangenehmen Gefühle und Empfindungen, statt zu versuchen, sie zu unterdrücken oder zu verdrängen. Ich wünschte, ich hätte mich früher mit diesem Kapitel beschäftigt. Ich hatte es bisher bewusst umgangen! Das alleine, ohne einen erfahrenen ACT-Therapeuten zu probieren, schien mir keine gute Idee. Bei der Ausdehnung geht es darum, die unangenehmen Gefühle und Empfindungen wie ein neugieriger Wissenschaftler zu beobachten, ohne sie zu bewerten. Was geht da genau während einer Panikattacke ab, wo im Körper fühle ich was? Wo ist das Gefühl im Körper am stärksten, wo am schwächsten? Ist das warm oder kalt, ist da ein Druck, Enge, ist es kontant oder sind es Wellen? Einfach beobachten und zulassen, sich ausbreiten lassen, ohne es kontrollieren zu wollen, den Raum geben, den es braucht und schließlich loslassen. Statt meine Aufmerksamkeit davon abzulenken, sollte ich sie achtsam dorthin lenken. »Völlig unmöglich«, dachte ich, »ausgeschlossen, das schaffe ich niemals!«

Mehrere Stunden bis zum Abend hielt ich durch! Dann bekam ich meinen Fruchtsaft, ich ging zurück auf mein Zimmer, ich hätte schwören können, es war kein Diazepam drin! Nach einer weiteren Stunde tat sich immer noch nichts, entweder es war wirklich nichts drin oder es war weniger als sonst. Die Panik wollte nicht aufhören und ich hatte starke Suizidgedanken. Etwa um 22:00 Uhr ging ich zur Nachtschwester, die mich gleich zum Arzt vom Dienst schickte. Ich hatte ein Gespräch zur Krisenintervention und er gab mir 50 mg Promethazin. Er sagte, wenn es mit den Suizidgedanken nicht besser werden würde, müsste er mich in die Psychiatrie einweisen lassen. Er sagte ich solle nicht aufgeben und bis Montag durchhalten. Eine Erhöhung des Diazepams lehnte er ab. Ich sagte, ihm bevor ich hier in eine Psychiatrie eingewiesen würde, würde ich lieber bei mir zu Hause in eine Psychiatrie gehen.

Tagebuch:

Spazieren gegangen, den Ort angeschaut, im Café gewesen, Linzer Torte gegessen und gelesen. Trotz Zunahme der Panik, Enge u. Druck in der Brust geblieben u. weitergelesen, wurde aber immer stärker, bis ich nach 30 min. gegangen bin. Auf mein Zimmer, starke Panik!!!

10. September 2011
10-0-0-0 mg Diazepam (vermutlich) | 50 mg Promethazin

Die Nacht war sehr schlimm gewesen. Ich konnte kaum schlafen, immer wenn ich eindöste, schreckte ich mit Panik und Herzrasen wieder auf. Ich hatte starke Magenkrämpfe und schaffte es auch nicht in den Speisesaal. Stattdessen hatte ich ein weiteres Gespräch zur Krisenintervention, dieses Mal mit einem anderen Arzt. Der sagte mir klipp und klar, dass ich hier niemals hätte aufgenommen werden dürfen, da ein Entzug in diesem Setting nicht möglich sei. Hätte ich mit ihm vorab gesprochen, er hätte eine Aufnahme abgelehnt. Er entschuldigte sich für den Irrtum und empfahl mir einen erneuten Entzug in der Psychiatrie zu machen. Wenigstens war er ehrlich, nur leider zu spät. Ich war wütend und enttäuscht und teilte ihm das auch so mit. Er zeigte Verständnis und schlug vor in den Abschlussbericht zu schreiben, dass ich irrtümlich aufgenommen worden wäre, ohne darüber informiert worden zu sein, dass ein Entzug in diesem Setting nicht möglich sei. Damit war dieser Versuch auch gescheitert!

Tagebuch:

Meiner Mutter eine SMS geschickt, dass sie mich abholen sollen. Sie sind zum Glück noch in München bei meinem Bruder u. kommen her, was aber trotzdem eine mehrstündige Fahrt ist. Sie sind ziemlich fertig, ratlos, traurig.

Schließlich erklärt der Arzt meinen Eltern, was er mir erklärt hat und entschuldigt sich noch mal für die Fehlinformation, die man mir beim Auswählen der Klinik im vornhinein gegeben hatte, dass ein Entzug kein Problem sei, man dass öfters machen würde u. damit gute Erfahrungen hätte. Lange Rückfahrt nach Hause, meine Eltern sind fertig, haben aber Verständnis u. schauen schon wieder nach vorne. Das hat nicht geklappt, dann eben etwas anderes, was würde ich ohne sie nur machen?

Ich selbst sehe nur noch in einen dunklen tiefen Abgrund….

11. September 2011
2-0-0-0 mg Tavor

Tagebuch:

Megakrise, Panik und Depression. Soll ich wieder in die Psychiatrie oder wie geht es überhaupt weiter???? Große Verzweiflung…

12. September–25. Oktober 2011
2-0-0-0 mg Tavor

Tagebuch:

Keine Eintragungen

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