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Der Schmetterling in meiner Hand
22. März 2012–09. April 2012
1 mg Tavor-5 mg Diazepam–10 mg Diazepam–0.5 mg Tavor
Manchmal lässt sich eine »Geschichte« nicht einfach »entschärfen«, egal welche Technik man dafür auch anwendet. Meistens, so zumindest bei mir, sind das die »Geschichten«, die wirklich wahr sind. Auch wenn es aus ACT-Sicht keinen Unterschied macht, ob eine »Geschichte« wahr oder falsch ist (sondern nur, ob die Geschichte hilfreich ist, ein zufriedenes und wertvolles Leben zu schaffen), kann ich diese »Geschichten« nicht einfach als »Geschichten« abtun.
Wahre »Geschichten« können sehr mächtig sein. Bei mir ist das vor allem die »Verlustgeschichte« (geliebte Menschen, irgendwann durch Verlassen werden oder Tod zu verlieren). Wenn die »Verlustgeschichte« auftaucht, »verschmelze« ich mit ihr. Dann ist es unmöglich die Gedanken als Gedanken abzutun und zu entschärfen, es gelingt mir nicht mal daran zu denken, dass es diese Strategie gibt. Dann bleibt nur noch den Widerstand gegen diese schlimmen Gedanken und die heftigen Emotionen aufzugeben und Platz für sie zu schaffen, damit sie sich ausdehnen können.
Die »Ausdehnung« ist die mit Abstand schwierigste aller ACT-Strategien. Normalerweise versuchen wir uns verkrampft und verzweifelt von unseren starken Emotionen abzulenken, sie zu verdrängen oder durch Alkohol, Tabletten etc. zu unterdrücken. Wenn ihnen jemand sagt, sie sollen ihre Aufmerksamkeit gezielt auf die starken Emotionen hinlenken, würden sie bestimmt auch sagen: »Niemals, spinnt der?«
Die Dämonen neugierig untersuchen
Bei der Ausdehnung geht es darum, die Dämonen sichtbar zu machen, sie sich genau anzusehen, so wie ein neugieriger Wissenschaftler, der gerade eine faszinierende Unterwasserkreatur entdeckt hat. Ein Wissenschaftler beobachtet zunächst erst mal, ohne eine Bewertung (gut, schlecht, gefährlich, harmlos) vorzunehmen. Meistens sehen die Dämonen, wenn sie erst mal an Deck stehen, gar nicht mehr so Furcht einflößend aus. Man kann ihre Form, ihre Farbe, Größe erkennen. Genau darum geht es bei der Ausdehnung, die Furcht einflößenden Emotionen und die damit verbundenen Empfindungen im Körper neugierig und ohne zu bewerten zu beobachten, zu untersuchen.
Die folgende Übung ist von meinem Therapeuten, der sie mit seiner eigenen sanften und freundlichen Stimme als mp3 aufgenommen hat:
Dafür scannt man den Körper von Kopf bis Fuß, um zu bemerken, wo diese Emotion am stärksten zu fühlen ist. Es kann auch sein, dass sich der Körper völlig taub anfühlt, dann richtet man den Fokus auf die Stelle, die am meisten taub ist. Hat man die Stelle gefunden, beobachtet man aufmerksam, was dort zu fühlen ist, ohne zu bewerten. Bei mir ist das der Oberkörper, angefangen vom Hals bis in den Unterleib. Im Brustbereich spüre ich einen starken Druck und beklemmende Enge, es fällt mir schwer normal zu atmen, ich habe das Gefühl, jemand hat einen Gürtel um meinen Brustkorb geschnallt und fest zugezogen und zerrt weiter daran.
Schaue ich tiefer in die Emotion, stelle ich fest, dass sie im Inneren warm und heiß ist und sich wellenförmig ausbreitet. Es fühlt sich wie glühendes Magma an. Ich fühle mich wie ein brodelnder Vulkan, das Magma drängt mit aller Macht tief aus meinem Inneren heraus an die Oberfläche. Mein Brustkorb scheint explodieren zu wollen. Das Magma kann aber nicht durchbrechen und so breitet sie sich in meinem ganzen Oberkörper aus, der Druck kann nicht entweichen und sucht sich andere Wege in den Magen, in die Speiseröhre, den Hals. Ich brauche nur darüber zu schreiben und schon spüre ich es (so machtvoll sind Gedanken). Ich bekomme Magen-Darm-Krämpfe, Sodbrennen mit Schmerzen hinter dem Brustbein. Ich beobachte weiter, auch wenn ich jetzt lieber eine Tavor nehmen würde. Manchmal ist es auch eher ein Knoten im Herzbereich, der sich immer weiter zuzieht, je verzweifelter ich versuche ihn zu lösen, mein Herz rast dann wie verrückt und hämmert gegen die Rippen, als ob es rausspringen wolle.
Den Dämonen erlauben da zu sein, auch wenn ich sie nicht mag
Im nächsten Schritt benenne ich die Emotion, ich sage innerlich zu mir selbst: »Da ist Angst«, »da ist Traurigkeit« oder »da ist Wut.«
Unterdrückte Emotionen manifestieren sich sehr oft im Körper. Sie zeigen sich dann durch bestimmte körperliche Symptome. Es braucht etwas Übung, um sich bewusst zu machen, welche Emotion sich durch welche körperlichen Symptome ausdrückt, um sie benennen zu können. Dabei haben wir dies sogar schon in unsere Sprache übernommen. Einige Beispiele:
Ärger, Wut, Zorn:
»Ich bin sauer« – Sodbrennen
»Ich finde das zum kotzen«, »das kotzt mich an« – Übelkeit
Dann atme ich sanft und freundlich in diesen Bereich hinein, hinaus und drumherum, ganz sanft hinein, hinaus und drumherum, sodass sich der Raum um diesen Bereich erweitert. Ich schaffe Platz für die Emotionen und Körperempfindungen. Ich lasse sie so sein, wie sie gerade sind. Ich erlaube ihnen jetzt in diesem Moment da zu sein, auch wenn ich sie nicht mag und nicht haben will!
Die Dämonen umarmen
Schließlich lege ich eine Hand auf den Bereich, der am meisten schmerzt und die andere Hand auf den Herzbereich. Ich lege die Hände ruhig dort hin und halte die Emotion sanft und leicht, so als ob sie ein Schmetterling in meiner Hand wäre. Ich stelle mir vor, es sei eine heilende Hand, eine mitfühlende Hand, die Hand eines liebevollen Menschen, eine tröstende Hand. Ich spüre die Wärme dieser Hand und wie sich diese Wärme und Güte in meinem Körper ausbreitet. Dann sage ich freundlich meine »Mettâ«-Sätze zu mir. Sie können aber auch einfach sagen, »das tut weh«, »dies ist ein Moment des Leidens« oder nur in dieser liebevollen Geste, sich selbstumarmend, ruhig dasitzend, verbleiben, so lange wie sie mögen.
Meine Metta-Sätze lauten:
»Mögest Du sicher und geborgen sein.«
»Mögest Du vollkommen sicher und geborgen sein.«
»Mögest Du in Frieden sein.«
»Mögest Du glücklich und zufrieden sein.«
»Mögest Du mit Leichtigkeit leben.«
»Mögest Du frei sein.«
»Mögest Du vollkommen frei sein, locker und gelöst, ganz locker und gelöst und weicher werden, ganz weich werden.«
Manchmal sage ich auch:
»Mögest Du freundlich zu Dir sein.«
»Mögest Du beharrlich und mutig sein.«
»Mögest Du stark sein.«
»Mögest Du Dich und Dein Leben so annehmen, wie es ist.«
Je nachdem, welchen Satz ich gerade brauche. Schließlich bedanke ich mich bei mir selbst, dass ich loslassen konnte, die starken Emotionen und Körperempfindungen in diesem Moment da sein lassen konnte. Dazu klopfe ich mir mit einer Hand selbst auf die Schulter.
Bemerken Sie, dass da nicht nur ausschließlich ein Gefühl ist, da ist ein Gefühl, in einem Körper, in einem Raum, in einer Welt voller Möglichkeiten, willkommen darin
Im nächsten Schritt kehre ich wieder ins »Hier und Jetzt« zurück. Ich finde, dass dies ein unglaublich befreiender Moment ist. Diese und andere ACT-Übung hat mein jetziger Therapeut als mp3-File aufgenommen. Damals kannte ich ihn noch nicht und nutzte die Original-CD von Russ Harris, der ebenfalls eine sehr angenehme und sanfte Stimme hat, allerdings waren die Aufnahmen in Englisch. Da der Abschluss dieser Übung sehr schön zum Ausdruck bringt, dass wir nicht nur aus Gedanken, Gefühlen und Körperempfindungen bestehen, möchte ich Ihnen diesen wunderbaren Abschluss der Übung nicht vorenthalten:
Das Leben ist wie ein Stück auf der Bühne und auf dieser Bühne sind all Ihre Gedanken und alle Ihre Gefühle und alles, was Sie sehen, hören, spüren, schmecken und riechen können. In den letzten Minuten haben wir die Lichter über der Bühne ausgeschaltet und den Spot auf ein bestimmtes Gefühl gelenkt. Jetzt ist es Zeit, die anderen Lichter wieder anzumachen. Beleuchten Sie zuerst den restlichen Körper, bemerken Sie Ihre Arme und Beine und Kopf und Hals. Bemerken Sie, dass Sie die Kontrolle über Arme und Beine haben, egal was Sie fühlen. Bewegen Sie sie kurz, um es selbst zu überprüfen und dann strecken und recken Sie sich einmal.
Und nun bringen Sie die Aufmerksamkeit in den Raum um Sie herum. Öffnen Sie die Augen und bemerken Sie, was Sie sehen und bemerken Sie was Sie hören und bemerken Sie, dass da nicht nur ausschließlich ein Gefühl ist, da ist ein Gefühl, in einem Körper, in einem Raum, in einer Welt voller Möglichkeiten, willkommen darin!
Die Ausdehnung praktizierte ich täglich 2 Wochen lang, während ich langsam von Tavor auf Diazepam umstellte, so wie es meine Psychiaterin mir aufgeschrieben hatte.
10. April 2012
10 mg Diazepam–5 mg Diazepam–0-0,5 mg Tavor
Tagebuch:
Medikamentensprechstunde und Vorgespräch in der LWL Klinik Lippstadt, die sich als bisher einzige auf Medikamentenabhängige spezialisiert hat. Angenehmes und aufklärendes Gespräch mit dem Chefarzt. Nahm sich Zeit meine Fragen zu beantworten. Fühle mich verstanden. Hat mich ermutigt einen weiteren stationären Entzug zu versuchen.
Werte: Achtsamkeit, Beharrlichkeit, Selbstmitgefühl, Aufrichtigkeit, Mut, Dankbarkeit.
20. April 2012
10 mg Diazepam–5 mg Diazepam–0-0,5 mg Tavor
Tagebuch:
Gespräch mit meiner Therapeutin. Wir sprachen über den geplanten stationären Entzug, hat mich ebenfalls ermutigt.
Werte: Achtsamkeit, Beharrlichkeit, Selbstmitgefühl, Aufrichtigkeit, Mut, Dankbarkeit.
23. April 2012
10 mg Diazepam–5 mg Diazepam-0–0,5 mg Tavor
Tagebuch:
Entschluss den stationären Entzug nicht zu machen, ich schaffe es einfach nicht!!!