Zweiter Tag – »Das müssen Sie aushalten!«

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Zweiter Tag – »Das müssen Sie aushalten!«

» Jeder Mensch kann irren, aber Dummköpfe verharren im Irrtum! «Marcus Tullius Cicero

Dienstag, 05. April 2011, 11:50 Uhr
Medikation: 50 mg Paroxetin | 300 mg Quetiapin | 0-0-1-0 mg Tavor 1

Nach einer unruhigen Nacht mit wenig Schlaf ging ich in die Stadt und traf mich mit einer Freundin. Seit gestern um 10:30 Uhr hatte ich kein Tavor mehr genommen, das merkte ich schon beim Mittagessen. Ich war sehr unruhig und zittrig und hatte eine starke Beklemmung in der Brust. Ich dachte, es wäre wegen dem Treffen mit der Freundin, da fühle ich mich mit meinen sozialen Ängsten immer etwas unruhig und angespannt, aber das legte sich meist im Verlauf. Dieses mal nicht, ich verabschiedete mich von meiner Freundin und ging zurück in die Klinik.

12:40 Uhr

Auf der Station ging ich direkt zum Stationszimmer. Ich teilte mit, dass ich starke Panik hätte und dringend ein Gespräch mit meiner Bezugstherapeutin bräuchte, dass wurde zunächst abgelehnt. Ich ging auf mein Zimmer und versuchte mich abzulenken, aber das half nichts.

14:30 Uhr

Etwas später betätigte ich erstmals den Notruf, es sollte nicht das einzige Mal an diesem Tag sein. Eine Pflegekraft kam und ich teilte ihr mit, dass ich große Panik hätte und dringend Tavor bräuchte. Ich sagte ihr, dass ich nicht noch so eine Nacht hier ertragen würde und bat um ein Gespräch mit meiner Bezugstherapeutin. Wenig später kam diese. Ich bat sie darum, mir Tavor zu geben, da ich zuletzt gestern am frühen Vormittag zu Hause Tavor genommen hätte und es jetzt notwendig sei, damit fortzufahren. Ich sagte zu Ihr:

»Ich habe starke Panik und brauche etwas zur Beruhigung. Ich habe gestern Morgen das letzte Mal Tavor genommen. Bitte geben Sie mir meinen Bedarf.«

»Das halte ich für keine gute Idee. Sie sind hier, um ohne Tavor Ihre Ängste auszuhalten. Es bringt Ihnen nichts, wenn Sie jedes mal Tavor nehmen, wenn Sie Panik bekommen.«

»Das ist mir durchaus klar. Das ist nicht meine erste Panikattacke, aber ich habe Tavor in der Tagesklinik als Bedarf erhalten. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich es seit mindestens 2 Wochen regelmäßig einnehme. Sie können es jetzt nicht einfach so absetzen, das geht nicht. Das kann zu schweren Entzugssymptomen und Panikattacken führen, unter denen ich offensichtlich gerade leide. Das steht doch sogar im Beipackzettel. Es ist notwendig, das Tavor langsam abzusetzen!««

»Das müssen Sie schon uns überlassen. Sie müssen das jetzt aushalten.«

»Wieso muss ich das aushalten? Ich habe das Tavor in der Tagesklinik als Bedarf erhalten. Warum kann ich es hier nicht auch weiterbekommen?«

»Wenden Sie Ihre gelernten Ablenkungsstrategien an, das ist sinnvoller.«

»Was glauben Sie, was ich schon die ganze Zeit tue. Die helfen aber leider gar nicht. Sie können mir doch nicht einfach das Medikament wegnehmen. Lesen Sie den Beipackzettel. Sie wissen doch, was passiert, wenn man ein Benzodiazepin plötzlich absetzt, oder nicht? Wenn Sie mir nicht helfen wollen, dann sagen Sie es, dann gehe ich.«

Sie ging darauf nicht weiter ein und ging. Zur Erinnerung:

zu beachten ist, dass nach längerer Anwendungsdauer (länger als 1 Woche) und plötzlichem Absetzen des Arzneimittels Schlafstörungen, Angst- und Spannungszustände, innere Unruhe und Erregung vorübergehend verstärkt wieder auftreten können. Daher sollte die Behandlung nicht plötzlich, sondern durch schrittweise Verringerung der Dosis beendet werden

Behandlungsprotokoll:

14:30 Uhr: Patient sucht Gesprächskontakt. Überlegt zu gehen, hätte hier keine Therapien bringe ihm nichts hier. Auch sei der Schlaf sehr schlecht. Könne nicht noch eine Nacht hier schlafen. PK macht Übergabe an bzt, (Bezugstherapeutin) diese spricht mit Patient.

Die Panik nahm mehr und mehr zu und es wurde immer unerträglicher.

15:00 Uhr

Ich versuchte mich, durch verschiedene Konzentrationsübungen abzulenken. Dann hörte ich Musik. Mein Zimmernachbar P. versuchte mich zu beruhigen, aber es half alles nichts. Die Panik nahm mehr und mehr zu und es wurde immer unerträglicher. Vor allem die neuen Symptome machten mir richtig Angst, weil ich sie nicht einordnen konnte. Vor allem diese irre Anspannung der Muskeln und das starke Verkrampfen. Dieses Mal ging ich zum Stationszimmer und sprach die Pflegerin an. Ich sagte:

»Ich habe starke Panik und ich ertrage diese starke Anspannung so nicht mehr. Ich bin total verkrampft, kriege kaum Luft, weil ich so eine starke Beklemmung in der Brust habe. Sie müssen doch etwas für mich tun können, um es erträglicher zu machen. Wieso geben Sie mir nichts?

»Sie müssen lernen, das auszuhalten.«

»Ich habe es in der Tagesklinik doch auch bekommen. Ich nehme das jetzt seit mehr als 2 Wochen. Sie können es doch nicht abrupt absetzen. Das geht nicht. Deshalb habe ich doch die ganzen beschissenen Symptome. Sie müssen das langsam absetzen.««

»Wenden Sie Ihre Ablenkungsstrategien an.«

»Die bringen leider nichts. Wie stellen Sie sich das vor?«

»Wenden Sie Ihre gelernten Ablenkungsstrategien an.«

»»Die helfen nicht! Dann lassen Sie mich wenigstens noch mal mit meiner Bezugstherapeutin sprechen.«

»Sie hatten schon ein Gespräch.«

»Das war doch kein Gespräch! Sie hat mir gar nicht zugehört und ist auf nichts eingegangen, was ich gesagt habe! Da erwarte ich mehr von einer Psychotherapeutin!«

»Sie müssen lernen, das auszuhalten.«

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, oder?«

Sie schaute mich vorwurfsvoll an und sagte nichts mehr. Ich ging wütend auf mein Zimmer zurück und versuchte mich verzweifelt irgendwie abzulenken und zu verstehen, was hier gerade passierte.

Behandlungsprotokoll:

15:10 Uhr: Kommt auf PK zu, ihm gehe es sehr schlecht, fordert explizit Tavor ein, in der TK habe er es auch bekommen, hier passiere ja nichts, PK weist auf Ablenkungsstrategien hin! Patient ist gereizt, kann sich nicht darauf einlassen. Eine alternative Behandlung gegen seine Unruhe wird noch abgeklärt.

Alles, was ich zu hören bekam war, dass ich das aushalten müsse, dass ich da durch müsse. Was sollte ich denn tun?

15:25 Uhr

Die Panik nahm noch weiter zu, ich hatte das Gefühl, mein Brustkorb, meine Rippen würden gleich brechen, konnte nicht mehr richtig atmen, zitterte am ganzen Körper, meine Muskeln waren zum Zerreißen angespannt und ich verkrampfte immer mehr. Ich fühle mich alleine gelassen, niemand half mir, alles, was ich zu hören bekam war, dass ich das aushalten müsse, dass ich da durch müsse. Was sollte ich denn tun? Egal was ich auch sagen würde, die würden mir nichts zur Beruhigung geben. Ich war so wütend, dass ich in größter Verzweiflung meine letzte Notfall-Tavor (0,5 mg) einnahm, die ich noch in der Geldbörse einstecken hatte. Dann rief ich meinen Vater an und bat ihn zu kommen, um mit meiner Bezugstherapeutin zu sprechen.

Wenig später kam die Pflegekraft in mein Zimmer. Sie sagte zu mir:

»Wir haben uns entschieden, Ihnen das Tavor nun doch zu geben.«

»Na toll, jetzt ist es zu spät! Ich habe gerade meine Notfall-Tavor genommen!«

»Wo haben Sie die denn her?«

»Das ist meine Tavor für Notfälle, das habe ich doch gerade gesagt.«

»Sie können doch nicht eigenmächtig einfach Tavor nehmen.«

»Sie hören mir ja nicht zu und tun nichts. Ich habe Sie darum gebeten, mir was zu geben. Ich wollte ein Gespräch mit der Bezugstherapeutin, aber Sie haben das alles abgelehnt. Was sollte ich denn Ihrer Meinung nach tun?«

»Sie hatten aber schon ein Gespräch mit Ihr.«

»Das war kein Gespräch, Sie sagte, ich solle die Ablenkungsstrategien anwenden und ist auf nichts weiter eingegangen.«

»Sie können das morgen in der Visite ansprechen.«

»Wie bitte? Ich brauche aber jetzt ein Gespräch und nicht morgen, wie soll ich denn die Nacht überhaupt schlafen, wenn ich nichts bekomme?«

»Jetzt haben Sie ja was genommen.«

»Das reicht doch nicht! Sehen Sie denn nicht, dass ich starke Entzugssymptome habe? Mein Vater kommt gleich!«

Die Pflegerin ging, ohne ein Wort zu sagen. Später kam mein Vater und ich sagte ihm, dass die hier nichts für mich tun würden. Er tröstete mich, versuchte mich zu beruhigen. Er verstand nicht, warum ich so leiden musste und sie mir nichts zur Beruhigung geben wollten. Er sagte, dass wir das zusammen durchstehen. Das Tavor begann zu wirken und ich wurde etwas ruhiger, die Anspannung löste sich und die Panik ging zurück. Nach einer Stunde ging mein Vater wieder, da es meiner Mutter zu Hause auch sehr schlecht ging. Er sagte, er würde noch mal mit der Pflegerin sprechen.

Behandlungsprotokoll:

15:25 Uhr: Patient wird in seinem Zimmer aufgesucht. Pflegekraft erklärt Medikation. Patient sagt, er habe jetzt seine Notfall-Tavor eingenommen. Was jetzt mit dem Gespräch sei? Sein Vater komme gleich. Patient wird erklärt, dass er morgen in der Visite die Möglichkeit habe einen gesonderten Termin zu vereinbaren. Vater des Patienten kommt, zeigt sich vorwurfsvoll, mache sich sorgen um seinen Sohn …

16:30 Uhr

Geklingelt um noch mal Bedarf zu erhalten, da die Panik zurückkam. Eine andere Pflegerin kam. Ich hatte mich schon auf die nächste Diskussion eingestellt und mir vorgenommen, es auf keinen Fall zu akzeptieren, wenn man mir wieder nichts geben wollte. Sie ging und kam wenig später mit einer halben Tavor wieder und das ganz ohne Diskussion. Ich war erleichtert, schaffte es sogar zum Abendessen mit den anderen Patienten. Bis dahin hatte mich mein lieber Zimmernachbar den Tag über mit Keksen und Wasser versorgt, weil es mir so schlecht ging, als das ich das hätte selber tun können.

Behandlungsprotokoll:

Sitzt auf dem Bett, klingelt, er benötige nochmals Bedarf, danach ruhiger. Nimmt an Abendessen und Therapien teil. Medikamentengabe und Gesprächskontakt.

Ärztlicher Verlaufsbericht:

Seroquel Prolong von 200 mg auf 300 mg erhöht bei depressiven Symptomen und Grübeln und Schuldgefühlen und Einengung im

Tagebuch:

Auf Station. 2 Panikattacken ohne Tavor durchgestanden. Tavor am Abend bekommen. Seroquel auf 300 mg erhöht.

Fussnoten:
1. Paroxetin: SSRI-Antidepressivum, Quetiapin (Seroquel Prolong): Atypisches Neuroleptikum, Tavor (Lorazepam): Benzodiazepin

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