Ohnmächtig

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Ohnmächtig

11. Januar 2012–20. März 2012
1-0-0-0 mg Tavor

Benzodiazepine verschreiben würde. Ich malte mir die wildesten Fantasien aus, wie ich als zerlumpter Junkie endete, auf der Suche nach dem nächsten Schuss, bereit alles zu tun und dabei ins kriminelle Milieu abzurutschen. Mein Kopf war da wieder mal sehr einfallsreich und malte sich das in den dunkelsten Bildern aus.

Tagebuch:

Ich hasse es, ohnmächtig zu sein, nichts tun zu können und abwarten zu müssen, ohne Gewissheit zu haben, was passieren wird! Nach dem Erlebnis mit der Ärztin steht fest, »da gehe ich nicht mehr hin«, das Vertrauen ist endgültig zerstört. Fühle mich allein gelassen. Brauche so schnell wie möglich einen neuen Facharzt, der mir weiter Benzodiazepine verschreibt. Zum Glück stellt sich nach kurzer Recherche im Internet heraus, dass meine frühere Psychiaterin, bei der ich bis 2008 in Behandlung war, wieder praktiziert. Sie war zwischenzeitlich in den Ruhestand gegangen. Vereinbare einen Termin: 21. März, früher ist nichts frei. Zähle meine Tavor-Tabletten durch und stelle fest, dass es reicht, wenn ich statt 2 mg täglich nur 1 mg nehme. Hoffentlich funktioniert das!

Daraufhin stürzte ich noch weiter ab, trotz der Einnahme von Tavor. Ich war nicht mal dazu in der Lage mein Tagebuch fortzuführen. Ich lenkte mich praktisch durch mehrstündiges PC-Spielen täglich ab, viel abends völlig k.o. ins Bett und schlief dank des Tavors schnell ein. Das PC-Spielen ist die beste Vermeidungsstrategie, die ich habe, weil ich dann wirklich so in das Spiel vertieft bin, dass ich nichts mehr wahrnehme, vor allem keine Ängste und keine Entzugssymptome. Dummerweise stellte sich hinterher aber heraus, dass das Spielen die Entzugssymptome sogar noch verstärkte, was ich während des Spielens natürlich nicht wahrnahm oder nicht wahrnehmen wollte.

Es hat schon etwas masochistisches, sich selbst bewusst Schaden zuzufügen, um nur keine schlimmen Gefühle und Körperreaktionen ertragen zu müssen! Das wäre in etwa so, als wenn man beim Bildaufhängen ausversehen mit dem Hammer den Daumen träfe, statt den Nagel in der Wand und weil man sich so dämlich angestellt hatte gleich noch mal auf den Daumen schlagen würde, anstatt die Wunde zu versorgen. Bei »geistigen Wunden« ist das beinahe schon eine normale menschliche Reaktion, sich selbst zu bestrafen, weil man leidet wie der sprichwörtliche Hund! Völlig irrational, unlogisch und trotzdem tun wir es!

Ich bin darin ziemlich gut. Es gab Zeiten, da habe ich vor Wut mit der bloßen Faust gegen die Wand oder die Tür geschlagen, bis die Knöchel blau und blutig waren. Erst wenn ich den Schmerz spürte, hörte ich damit auf. Ich habe mir irgendwann sogar einen Boxsack und Boxhandschuhe besorgt, um dann auf den Boxsack einzuprügeln, musste aber feststellen, dass dies keine Erleichterung brachte. Offenbar war der Schmerz so etwas wie meine gerechte Bestrafung für mein selbst verschuldetes Leiden, und erst wenn ich den Schmerz fühlte, war ich erleichtert. Ich weiß nicht, wohin mich dieses selbstzerstörerische Verhalten gebracht hätte, wenn ich durch ACT nicht gelernt hätte, anders mit meinem emotionalen Leiden umzugehen.

Ich versuchte deshalb auch das PC-Spielen zumindest zeitlich zu beschränken und, als ich merkte, dass sich deutliche Zeichen der früheren Konditionierung (mir wurde wieder kotzübel) nicht mehr leugnen ließen, hörte ich damit auf.

Ich hatte es satt mich weiter selbst für etwas zu bestrafen, woran ich keinerlei Schuld hatte. Ich hätte das Personal der Psychiatrie verprügeln sollen, die den Entzug verpfuscht hatten, aber das ging ja nun auch nicht, obwohl ich sehr oft solche Rachegedanken hatte, die mir wirklich Angst machten! Das war nicht ich, ich bin strikt gegen jede Form der Gewalt, aber diese Wut und die Ohnmacht, dass die mein Leben endgültig zur Hölle gemacht hatten, ohne dafür die Verantwortung zu tragen, dass ich nicht mal eine Entschuldigung bekam, war einfach grenzenlos! (erst viel später sollte sich herausstellen, das es da einen entscheidenden Faktor gab, der für dieses aggressive Verhalten, die Hassgefühle, die zunehmende Verbitterung, die Gewaltphantasien und die immer stärker werdenden Suizidgedanken verantwortlich war, der mir zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bekannt war)

Nachdem ich mit dem Spielen aufgehört hatte, gab es als Belohnung dafür mehrere »Panikattacken«. Das hört sich sarkastisch an, weil es das ist! Der Sarkasmus hilft mir solche Situationen zu überstehen und ich bin froh, dass mich mein »Galgenhumor« bisher noch nie in Stich gelassen hat, was würde ich ohne ihn bloß tun?

Krisen waren seit dem Entzug an der Tagesordnung, mein Tagebuch aus dieser Zeit ist übersät mit Ausrufezeichen: mal eins, mal zwei, mal drei, dann immer dicker und immer größer, fetter und aus dem Wort »Krise« wurde »Super-Krise«, dann »Mega-Krise« und schließlich »Super-Mega-Krise«! Irgendwann gingen mir die Superlative aus, die noch annähernd hätten ausdrücken können, was ich in dieser Zeit durchlebte!!!!

Tagebuch:

Super-Mega-Krise!!! Konnte die geplante stationäre Entgiftung in B. aus Panik nicht antreten! Ich möchte, aber ich schaffe es nicht mehr, keine Kraft! Ich werde das nicht überleben!!!!!

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